Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Das kann jetzt nicht wirklich passiert sein, wo ich doch im Krankenhaus schon diese Zweifel hatte!«
Endlich kam Ralf. Als ich ihn sah, war der Verzweiflungssturm wieder da. Ich schrie herum, fiel ihm in die Arme und weinte hemmungslos. Aber es tat gut, dass er da war.
»Erzähl mal ganz in Ruhe«, sagte er, nachdem sich Nora mit Max verabschiedet hatte.
Unter Tränen erzählte ich ihm alles.
»Wir fahren jetzt erst mal in die Klinik und reden noch einmal mit dem Chefarzt. Dann schauen wir weiter. Wir können ja ohnehin nichts machen, bevor die Testergebnisse nicht da sind.«
»Wenn jetzt doch was dran ist, an meiner Angst von damals?« Ich schluchzte noch ein paar Mal auf.
»Mach dich nicht verrückt. Vielleicht ist ja alles gut. Wir sind eben in der Auswahl und müssen jetzt da durch.« Wie es so seine Art ist, blieb er ganz ruhig und sachlich. Das war ein guter Gegenpol für mich.
Bis zu unserem Termin hatten Ralf und ich noch etwas Zeit. Wir überlegten nicht lange und riefen Ralfs Eltern an. »Ich kann Yara aus dem Kindergarten abholen«, bot Theodora sofort an, nachdem sie den ersten Schrecken verdaut hatte. Meine Eltern wollte ich noch verschonen. Mein Vater hatte wenige Wochen zuvor einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitten und war in einer entsprechend schlechten Verfassung. Meine Mutter hatte seitdem kaum Zeit für irgendetwas anderes, wir hatten uns in den letzten Wochen meist auch nur telefonisch auf dem Laufenden gehalten.
Doch meine Mutter war mal wieder schneller als ich. Viel schneller, als ich gedacht hätte, und unternahm etwas, was wirklich meine Vorstellungskraft sprengte. Sie war gerade unterwegs zum Tanken, als sie die Meldung über die vertauschten Babys im Radio hörte. Ihr kamen sofort meine Zweifel von damals in Erinnerung. Und auch an Lenis Nase musste sie denken. Auf keinen Fall wollte sie mich beunruhigen und entschied sich, mir erst einmal nichts von der Meldung zu erzählen. Sie hoffte außerdem, dass ich so sehr mit dem Baby beschäftigt war, dass ich weder zum Radiohören noch zum Zeitunglesen kam. Ihr kam die Idee, die Landrätin, Frau Ingrid Koch, mit der sie früher zusammen in der Frauenunion gewesen war, anzurufen. Diese bekam sie aber nicht an den Apparat, da sie wegen dieser Babyverwechslung der Presse gerade Rede und Antwort stehen musste. Kochs Sekretärin riet meiner Mutter, in der Klinik nachzufragen. Gesagt, getan.
»Guten Tag. Hier Lenk. Ich rufe an wegen den vertauschten Babys. Ich bin eine Mutter von einer Mutter, die vom Zeitraum her eventuell infrage kommen könnte. Ich wollte mich eigentlich nur vergewissern, ob meine Tochter zum Kreis der Verdächtigen gehört. Ich will mich nur beruhigen.«
Die Sekretärin von Prof. Scherer schaute in der Liste nach. »Lenk? Nein, Lenk ist nicht dabei.«
Kurz herrschte erleichterte Stille. Aber dann besann sich meine Mutter. »Klos, der Name meiner Tochter ist Klos.«
»Äh. Moment bitte, ich verbinde Sie mal mit dem Professor.« Natürlich war meiner Mutter klar, dass dies nichts Gutes verheißen würde.
Prof. Scherer erzählte meiner Mutter, dass er gerade mit mir gesprochen habe. »Ach, du lieber Gott! Dann kommt sie ja wirklich infrage!«, rief meine Mutter entsetzt. Dann erzählte sie Prof. Scherer von Lenis Namensbändchen, das zu locker gesessen hatte und immer abgefallen war. An seiner Reaktion bemerkte meine Mutter, dass auch er fassungslos war.
Mal ganz davon abgesehen, dass meine Mutter in der Klinik nicht hätte anrufen sollen, hätte Prof. Scherer ihr eigentlich keine Auskunft geben dürfen. Aber für die Klinik war es auch eine Ausnahmesituation. Sie hatten solch einen Fall zum ersten Mal in ihrer Geschichte und waren schlichtweg überfordert. Außerdem war Prof. Scherer nicht mehr der Jüngste. Er stand nur wenige Monate vor seiner Pensionierung und sah sich seine Karriere nun ausgerechnet mit einem Skandal beenden.
Am Haupteingang des Krankenhauses stand ein Kamerateam. Als ob es uns nicht beträfe, gingen Ralf und ich an den Presseleuten vorbei und nahmen wie abgesprochen den Ambulanzeingang. Auf dem Weg wiederholte ich in Gedanken immer wieder diese zwei Sätze: Bloß nicht heulen! Du wirst auf keinen Fall heulen!
Ich hatte das dringende Bedürfnis, mich bei dem Gespräch stark und selbstbewusst zu präsentieren. Ich wollte, dass der Chefarzt Respekt vor mir haben würde. Ich wollte nicht schon wieder wie eine hormongesteuerte Mutti wirken, die irgendwas daherredet. Allen sollte klar
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