Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Auf Wiederhören.« Damit legte ich auf.
Ich konnte noch nicht einmal durchatmen, da klingelte es an der Haustür. Es war Irene. Ich ließ sie herein, und sofort schossen mir wieder die Tränen in die Augen.
»Wir sind das«, sagte ich schluchzend.
»Wie jetzt?«, fragte sie vollkommen irritiert.
»Die vertauschten Kinder – das sind wir!«, schrie ich.
»Wieso? War das denn genau zur gleichen Zeit?«
»Ja, und die Klinik hat gerade schon angerufen!«
Erst da wurde Irene bewusst, welche Nachricht sie mir eigentlich überbracht hatte. Weil sie aber merkte, in was für einem Zustand ich mich befand, versuchte sie mich zu beruhigen. »Jetzt warte doch erst mal ab.«
Aber ich ließ mich nicht beruhigen. Irene war eigentlich auf dem Sprung. Sie wollte nach dem abrupt beendeten Telefonat nur schnell nachsehen, ob auch alles in Ordnung mit mir war. Und jetzt das!
»Ralf – Ralf muss kommen«, sagte ich und rief ihn auch schon auf seinem Handy an.
Als er ranging, weinte ich bitterlich.
»Stell dir vor, die Klinik hat angerufen. Es sind zwei Babys vertauscht worden. In der Zeit, in der wir da waren. Und wir kommen infrage!«
»Was!? Das gibt es doch nicht.«
Ich war nicht wirklich in der Lage zu telefonieren. Ich stotterte nur noch unzusammenhängendes Zeugs.
»Weißt du was, ich komme sofort«, sagte er und legte auf.
Reflexartig rief ich auch noch Ricarda an, aber sie konnte natürlich nicht einfach den Unterricht ausfallen lassen, um mir beizustehen. Irene musste aber dringend los, und allein lassen wollte sie mich in diesem Zustand nicht.
»Nora … Nora ist sicher zu Hause«, überlegte ich laut und wählte sogleich ihre Nummer.
Nora verstand kein Wort, weil ich ohne Unterbrechung heulte, während ich ins Telefon stammelte. Aber sie kennt mich gut und weiß, wenn ich richtig weine, dann muss etwas Schlimmes passiert sein.
Innerhalb kürzester Zeit war Nora da – mit ihrem kleinen Max. Weinend fiel ich ihr in die Arme und erzählte von dem Anruf. Ich war so aufgelöst, dass ich nur in Bruchstücken reden konnte. Es dauerte etwas, bis Nora verstand, worum es eigentlich ging. Ich fing an, immerzu hin und her zu laufen. Irgendwann nahm ich Fotos von Leni und mir, hielt sie Nora vors Gesicht und beteuerte, dass wir uns doch gleichen würden. Nora betrachtete die Fotos, schwieg aber. Leni und Max lagen während der ganzen Zeit brav nebeneinander im Laufstall.
Nora versuchte mich zu trösten. »Jetzt warten wir erst einmal ab. Gleich kommt auch Ralf.«
Langsam ließ meine Panik nach, und ich kam wieder etwas runter. Wenn ich das Gefühl habe, ich kann nicht mehr weinen, weil ich keine Kraft mehr dazu habe, dann beruhige ich mich auch von allein wieder. Ich sortierte meine Gedanken.
»Eigentlich bin ich doch bescheuert! Ich will es ja auch wissen. Wie kann ich nur diesem Arzt sagen: ’Es ist mein Kind’, obwohl ich schon damals das Gefühl hatte, es ist nicht mein Kind?«
»Dann ruf ihn jetzt an und sag, dass ihr doch vorbeikommen werdet.« Noras Vorschlag klang nicht nur vernünftig, es blieb mir im Grunde genommen gar nichts anderes übrig. Also rief ich das Krankenhaus an und verlangte Prof. Scherer.
»Ja, Frau Klos«, begrüßte er mich freundlich.
»Ich habe mich jetzt doch anders entschieden. Ich würde gern den Test machen lassen.« Ich blieb ganz ruhig. »Ich möchte es wissen. Außerdem kommt es ja ohnehin heraus, wenn wir die Einzigen sind, die am Ende keinen Test gemacht haben.«
Ich entschloss mich, ihm zunächst nichts von meinen Zweifeln von damals zu erzählen. Ich dachte, es sei besser, wenn er noch nichts davon wissen würde. Besser nicht zu viel reden , coachte ich mich während des Gespräches selbst, da ich doch sonst immer ohne nachzudenken sofort drauflosquatschte.
»Ich habe meinen Mann angerufen. Wenn er da ist, kommen wir sofort. Ich muss nur schauen, dass ich unsere ältere Tochter noch irgendwo unterbringe.«
»Kommen Sie einfach zwischen dreizehn und fünfzehn Uhr, wenn es geht.« Dann gab er mir noch eine wichtige Information – im wahrsten Sinne des Wortes – mit auf den Weg. »Bitte nehmen Sie nicht den Haupteingang, da steht die Presse. Nehmen Sie den Eingang, der durch die Ambulanzen führt.« Ganz in meinem und Ralfs Interesse versicherte ich ihm, dies zu tun. Das Letzte, was ich nun wollte, war, von Journalisten bedrängt zu werden.
Nachdem ich aufgelegt hatte, tröstete Nora da weiter, wo sie aufgehört hatte. Ich sagte immer wieder nur: »Das gibt es nicht!
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