Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
dass sich jeder hauptsächlich um sein »falsches« Kind kümmerte.
Dann kam es zu einer Szene, die bei mir erneut die Alarmglocken klingeln ließ. Vanessa, ihre Mutter und Jennifer gingen in die Küche, um Brote für alle zu machen. Dafür setzten sie Lina in einen Hochstuhl mitten im Zimmer. Ich war entsetzt. Gerade Lina, die so zappelig war!
»Was fällt denen ein? Sie können doch das Kind nicht einfach dahinsetzen«, zischte ich Ralf zu.
Anstatt selbst auf Lina aufzupassen, gab ich Ralf Anweisungen. »Geh du hin und pass auf, dass sie nicht rausfällt.«
Ich selbst wollte es nicht machen, da ich vor Vanessa und ihrer Mutter nicht den Eindruck einer Übermutter erwecken wollte. Wie ihm geheißen, stellte sich Ralf neben den Hochstuhl. Der arme Kerl , dachte ich mir zerknirscht, jetzt muss er für mich herhalten. Wie unmöglich von mir. Aber ich schaffte es einfach nicht, meinen Mund aufzumachen und zu sagen, dass ich es unverantwortlich fand, wie sie mit meinem Kind umgingen. Zumindest hätte ich doch von einer erfahrenen Großmutter erwartet, dass sie ihrer Tochter so etwas beibringt.
Von diesem Moment an hatte ich keine ruhige Minute mehr. Ich malte mir ständig aus, wie Lina allein im Hochstuhl sitzt und herausfällt. Mir selbst war das auch schon mal mit Yara passiert, von daher wusste ich, wie schnell so etwas geschehen kann. Und es war damals ein großes Glück, dass sich Yara nichts getan hatte.
Als wir dann die Brote aßen, wagte ich einen entscheidenden Vorstoß. Ich fragte Vanessa so locker wie möglich: »Sollen wir die Babys beim nächsten Mal für zwei, drei Stunden tauschen?«
Ich traute mich kaum Vanessa anzuschauen, hob dann aber doch wieder den Kopf und lächelte sie an. Ich wollte für uns alle zusammen stark sein.
Und wie froh war ich, als auch Vanessa ebenfalls zaghaft zu lächeln begann und leise »Ja, okay« sagte.
KAPITEL 25
A uf Silvesterfeiern hatte ich dieses Jahr überhaupt keine Lust. Ich wollte zu Hause bleiben und mich mit so wenigen Leuten wie möglich unterhalten müssen. Ricarda war im Urlaub, und so verabredeten wir uns kurzfristig mit Nora und Simon und deren Kindern. Nora war auch nicht in Feierlaune und schlug ein gemütliches Abendessen vor.
Die Kinder lagen schon früh im Bett, jedes in einem anderen Zimmer. Vor uns auf dem Boden standen vier Babyfone. Über unseren bevorstehenden Rücktausch der Kinder redeten wir nicht viel. Meine Jahresbilanz, die ich traditionellerweise an Silvester zog, fiel dieses Mal nicht sonderlich gut aus. Die Hälfte des Jahres hatte ich ohne mein leibliches Kind leben müssen, und nun musste ich auch noch ohne es ins neue Jahr feiern. Genauso wie Weihnachten konnte ich diese Zeit nicht mehr nachholen. Das setzte mir zu. Trotzdem versuchte ich den Abend einigermaßen zu genießen.
Um Mitternacht gingen plötzlich alle Babyfone los. »Oh nein, jetzt sind alle wach geworden von dem Lärm«, sagte Nora, und wir flitzten schnell hoch zu den Schlafzimmern. Doch die Kinder schliefen seelenruhig. Es war nur der Raketenlärm, auf den die Babyfone reagiert hatten. Wir lachten und beschlossen, kurz auf die Straße zu gehen.
Wir nahmen Sekt und Gläser mit und stießen draußen an. Ralf drückte und küsste mich. »Es wird schon alles gut werden«, versuchte er mich aufzumuntern.
Dann ließ er zusammen mit Simon ein paar Böller los. Nora drückte mich einfach nur ganz lange, ohne etwas zu sagen. Ich selbst wünschte mir auch, dass alles so schnell wie möglich wieder gut werden würde. Dann schickte ich noch ein Stoßgebet in den eiskalten Winterhimmel: »Bitte lieber Gott, mach, dass Ann-Kathrin wieder gesund wird!«
»Jeannine?«, holte mich eine Männerstimme zurück ins feierlaunige Hier und Jetzt. Der Bruder meines Exfreundes, der nur ein paar Häuser von uns entfernt wohnte, stand hinter mir. Er streckte mir seine Hand entgegen. »Gutes neues Jahr, Jeannine«, sagte er.
»Dir auch«, antwortete ich schnell.
Er blickte mich ganz ernst an und meinte dann leise: »Es ist ja alles so beschissen. Ich drück dir die Daumen.«
»Ja, es wird schon alles«, antwortete ich und kämpfte mit den Tränen.
Obwohl auf der Straße so viele Leute waren, war er der Einzige von unseren Nachbarn, der zu uns kam. Anscheinend trauten sich die anderen nicht. Aber das war auch in Ordnung, denn das Letzte, was ich jetzt wollte, waren mitleidige Blicke.
Nach dem Feuerwerk beendeten wir den Abend. Ich war froh, dass ich Silvester irgendwie hinter mich
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