Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Vanessa, wie es ihr mit der Vorstellung ginge, Angelina herzugeben.
»Zuerst habe ich gesagt, ich gebe Lina nicht mehr her. Aber jetzt ist es so teils, teils.«
Vanessas Mutter fügte noch halb lachend und halb weinend hinzu, dass sie am Anfang immer zu Vanessa gesagt habe: »Wenn der Herr Klos kommt, dann rück ich das Kind nicht raus!«
»Wann wirst du denn am traurigsten, Vanessa?«, fragte Prof. von Rhein.
»Wenn Angelina mich anschaut oder wenn sie mich anlacht, dann kommen mir immer …« Ihr Schluchzen erstickte den Satz.
Da strich Vanessas Mutter ihrer Tochter liebevoll die Haare aus dem Gesicht. »Wir können es nicht so lange hinauszögern, auch, wenn es so weh tut. Es wird der Familie Klos nicht anders gehen als uns. Und du kannst sicher jederzeit zu ihnen, wenn du Angelina vermisst.«
Dann drückte sie ihre weinende Tochter an ihre Brust und küsste sie auf ihren Kopf. Ralf reichte Vanessa ein Taschentuch.
Obwohl für mich das Thema Tauschen von Anfang an ohne irgendeinen Zweifel behaftet war, bedrückten mich Vanessas Worte und die Schmerzen, die ihr die bevorstehende Trennung von Lina verursachten, sehr.
Einen konkreten Termin für den Tausch konnten wir noch nicht festlegen. Stattdessen weinten Vanessa, ihre Mutter und ich einfach nur.
Als wir den Gang in Richtung Aufzug liefen, legte Ralf seinen Arm um mich. Leni trug ich auf dem Arm, sie war kurz davor einzuschlummern. Auch die Kinder nahmen diese Treffen sicherlich mit. Dieses Mal beeilte ich mich nicht, Ann-Kathrin zu besuchen. Dieses Mal war mir alles andere als euphorisch zumute. Ich fühlte mich verletzlich und müde.
Nachdem Ralf sich mit der schlafenden Leni auf den Weg zum Café der Klinik gemacht hatte, schritt ich durch die breite Tür, die zur Kinderkrebsstation führte. Ein kleiner Junge mit einer Glatze und einem künstlichen Darmausgang kam mir entgegengehumpelt. Und auch im Spielzimmer, an dem ich vorbeikam, saßen lauter Kinder, die alle keine Haare mehr hatten. Ich wäre am liebsten umgedreht, so nah ging mir das Leid der Kinder auf einmal.
Ich versuchte mich innerlich wieder aufzurichten, klopfte kurz an die Tür von Ann-Kathrins Krankenzimmer und trat ein.
Ann-Kathrin saß lächelnd auf ihrem Bett, aber ihren Augen fehlte der Glanz, das Lebendige. Als ich ihr zur Begrüßung über die Haare strich – eine Umarmung kam wegen ihres schwachen Immunsystems ja nicht infrage –, fühlten sie sich dünn an. Meine Schwester jedoch strahlte umso mehr und machte mir auf diese Weise auch ohne Worte ihre Besucherregeln noch einmal klar: Wir sprechen hier nicht über Ann-Kathrins Krankheit, wir machen jederzeit gute Miene zum bösen Spiel, und wir verbreiten nichts als positive Gedanken. Doch heute gelang es mir nicht so recht, für gute Stimmung zu sorgen.
KAPITEL 23
N ormalerweise verkrachten Ralf und ich uns immer am Heiligabend. Er musste unbedingt jedes Mal ein Sieben-Gänge-Menü kochen – für mich der totale Stress, weil ich, wie bei jedem Fest, währenddessen und danach putzen und aufräumen musste. Wenn wir dann in der Kirche saßen, was natürlich so früh wie möglich sein musste, um noch einen guten Platz zu bekommen, war ich kurz vorm Heulen. Jedes Mal bestand ich darauf, dass es im kommenden Jahr etwas Einfaches geben sollte, wie zum Beispiel eine kalte Platte.
Dieses Mal wurde mein Wunsch ohne Wenn und Aber erfüllt. Mannomann, anscheinend muss es mir erst richtig schlecht gehen , dachte ich mir insgeheim.
Doch obwohl alles nur halb so stressig war wie sonst, spürte ich, dass ich mit meinen Kräften völlig am Ende war. Ich konnte die Tränen nur noch mühsam unterdrücken. Sollte das wirklich das erste und letzte Weihnachtsfest mit Leni sein? Und warum war meine kleine Lina nicht bei mir? Sie gehörte doch zu uns. Ich vermisste sie so sehr.
Wie bitter war das alles.
Mein Blick fiel auf Yara, die sich gerade über ihren Weihnachtsteller hermachte. Sie hatte sich wahnsinnig auf Weihnachten gefreut, und es sollte heute trotz allem ein schönes Fest für sie werden. Also riss ich mich mal wieder zusammen, und auch die anderen taten ihr Bestes, Yara einen schönen Heiligabend zu bescheren.
Nach dem üblichen Singen der Weihnachtslieder befürchtete ich jedoch, dass sich meine Schwiegermutter und meine Schwägerin mal wieder in ein Gespräch über Krankheiten und Todesfälle verstricken könnten. »Der liegt im Sterben, die hat wieder Krebs bekommen, der geht jetzt schon am Rollator, ich war letzte Woche auf
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