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Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde

Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde

Titel: Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannine Klos
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Familie ein wenig zusammenzuwachsen.« Stille.
    »Hallo?«, fragte ich nach einiger Zeit.
    »Okay, ich glaube, Sie brauchen sich überhaupt keine Gedanken zu machen. Das wird bestimmt genehmigt.«

    Als Ralf wieder arbeiten ging, kehrte auch bei mir die übliche Routine ein. Mein Alltag sah so aus wie zu Lenis Zeiten, nur, dass Lina viel mehr beschäftigt werden musste. Es reichte ihr nicht, nur in der Wippe oder auf dem Boden zu liegen, mich zu beobachten oder selbst mit ihrem Spielzeug zu spielen. Sie wollte unterhalten werden. Wir schauten zusammen Fühlbücher an, machten Drehübungen, spielten mit kleinen Kuscheltieren oder einfach nur mit unseren Fingern. Ich genoss das alles sehr. Ich hatte immer noch ein großes Nachholbedürfnis. Viel Zeit verbrachte ich auch damit, ihre extrem trockene Haut einzucremen – meistens drei Mal am Tag. Mir fiel auf, dass sie sich oft kratzte. Daher machte ich mir noch mehr Sorgen als ohnehin schon, dass sie Neurodermitis bekommen könnte.
    Obwohl ich so viel Zeit mit Lina verbrachte, achtete ich penibel darauf, dass ich sie Yara gegenüber nicht bevorzugte. Ich wollte meine Kinder auf jeden Fall gleich behandeln und ihnen gleich viel Liebe geben – egal, welche Vorgeschichte Lina hatte, oder vielleicht gerade wegen dieser besonderen Vorgeschichte. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass sich meine Eltern nur auf Lina fixierten. Bei meinem Vater war es am auffälligsten. Er beachtete Yara überhaupt nicht mehr. Er, der noch nie in seinem ganzen Leben ein Kind gewickelt hatte, machte Lina tatsächlich frisch. Ich fand das sehr süß, zumal er ihr die Windel auch noch falsch herum anzog. Dennoch machte ich meine Eltern darauf aufmerksam, dass sie immer noch ein zweites Enkelkind hätten. Meine Mutter nahm meine Kritik sehr ernst und kümmerte sich daraufhin nur noch um Yara und gar nicht mehr um Lina. Mit der Zeit pendelte sich aber auch das ein, und beide Kinder bekamen gleich viel Aufmerksamkeit.
    Froh waren wir alle, als Ann-Kathrin endlich ihren ersten Chemoblock hinter sich hatte und nach Hause durfte. Zwar konnte ihr Onkologe nicht so wirklich dahinterstehen, er hätte sie lieber im Krankenhaus behalten, aber Ann-Kathrin hatte sich durchgesetzt. Sie hatte es sich von Anfang an vorgenommen, nach der ersten Behandlung für einige Zeit nach Hause zu gehen, und ließ einfach keine andere Meinung gelten. Das war ihr erster kleiner Sieg, und ich freute mich riesig für sie.
    Das, was in unserem Alltag noch ziemlich außergewöhnlich war, waren die tagtäglichen Anfragen der Medien. Das Interesse wollte einfach nicht abebben. Allerdings gingen wir auf keine Anfrage ein. Ralf war zwar etwas offener, aber ich wollte nichts mit den Journalisten zu tun haben. Mit der Pressekonferenz hatte ich mein Soll schon erfüllt.
    Und noch etwas war noch nicht bzw. nicht mehr »normal«: die Art, wie unsere Umwelt auf uns reagierte. Ging ich durchs Dorf, steckten die Leute die Köpfe zusammen und rührten in der ohnehin schon brodelnden Gerüchtesuppe. War ich mit den Kindern auf einem Fest, starrten uns manche Mütter die ganze Zeit an, als würden sie etwas erwarten. Sah ich in der Stadt ehemalige Schulkameraden, dann winkten sie nur kurz, drehten sich um und liefen schnell weiter. Das schmerzte. Aber vor allem verstand ich nicht, warum die Leute so reagierten bzw. wovor sie Angst hatten. Glaubten sie, wir seien nun hochgradig traumatisiert und bräuchten Mitleid? Verstanden sie nicht, dass wir immer noch die Alten waren und niemand befürchten musste, in eine unangenehme Situation zu geraten? Wir hatten doch kein Kind verloren, sondern das verlorene wiedergefunden – das Beste, was uns passieren konnte!
    Ich wünschte mir, die Menschen wären offener mit uns umgegangen. Ebenso hätte ich mir gewünscht, dass die Mütter in den einschlägigen Internetforen weniger selbstgefällig über unseren Fall geurteilt hätten, zumal sie selbst niemals in einer derartigen Situation gewesen waren. Überall las ich Beiträge wie:

    »Mir hätte niemand ein falsches Kind unterschieben können, und ich denke, dass das jeder Mutter so gehen müsste.«

    »Wo war bei den beiden Frauen der Mutterinstinkt? Ich behaupte, ich hätte mein Kind vom ersten Tag an unter hundert anderen herausfiltern können.«

    »Das Schreien bleibt im Gedächtnis, und daran erkennt man sein Kind unter tausend anderen Kindern – jedes Kind schreit anders.«

    »Ich würde niemals meine Kinder, die ich mehr liebe als mein Leben, tauschen

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