Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
auf der Kinderintensivstation liegen müssen und war nun gerade dabei, sich wieder zu erholen. Mir war klar geworden, wie gefährlich nicht nur ihre Erkrankung, sondern auch die Behandlung war. Mit all den eigenen Problemen im Kopf hatte ich ihren Gesundheitszustand heruntergespielt. Damit war es nun vorbei. Ich machte mir große Sorgen um sie. Trotzdem versuchte ich, positiv zu bleiben und glaubte nach wie vor fest daran, dass sie es schaffen würde. Das Wort »sterben« nahm ich im Zusammenhang mit Ann-Kathrin einfach nicht in den Mund.
KAPITEL 36
L inas Haut wurde von Tag zu Tag schlechter, und sie kratzte sich ständig mit ihren kurzen Nägelchen. Wenn sie im Bett lag, rieb sie die Fersen aneinander. Irgendwann weinte sie vor lauter Juckreiz, konnte nachts nicht mehr schlafen und hatte sogar wunde Stellen. Ich wusste mir keinen Rat mehr. Jetzt konnte nur noch ein Spezialist helfen.
Dr. Bergmann, unser Hautarzt, untersuchte Lina gründlich. »Mmh, das könnten Krätzmilben sein.«
Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht, was Krätze eigentlich ist. Ich wusste, dass es Grasmilben gibt. Krätzmilben allerdings waren mir kein Begriff.
»Sie hat diese typischen roten Stellen zwischen den Fingern und an den Innenseiten der Handgelenke«, erklärte mir Dr. Bergmann. »Wissen Sie, ob es bei der anderen Mutter eine Vorgeschichte gibt?«
Mir war nichts bekannt. Er entschied sich, Lina nicht sofort auf Krätze zu behandeln, sondern erst einmal abzuwarten, was Vanessa sagen würde. Solange sollte ich Lina mit einer Salbe gegen Juckreiz eincremen.
Zufälligerweise war ich ohnehin für den Nachmittag mit Vanessa verabredet. Ich merkte, dass es Vanessa immer noch nicht viel besser ging. Sie war ziemlich wortkarg und schaute mich und Lina ganz seltsam an. Als ich sie auf die Krätze ansprach, meinte sie: »Das hatte ich auch, als ich in der Jugendhilfeeinrichtung war.«
»Aber warum hast du mir das denn nicht gesagt?«, fragte ich sie entgeistert.
»Ich wusste nicht, dass das so wichtig ist. Ich hab mich mit einer Lotion, die ich vom Arzt verschrieben bekommen habe, eingecremt. Dann wurde es besser.«
Sie zeigte mir die Zwischenräume ihrer Finger, die noch immer gerötet waren. Es kam ihr anscheinend gar nicht in den Sinn, dass Lina sich angesteckt haben könnte. Aber vor allem kam es ihrem Arzt nicht in den Sinn. Das war mir unbegreiflich.
Als ich Dr. Bergmann erzählte, was ich erfahren hatte, verschrieb er mir ein neues Mittel. »Sie müssen sich alle, die ganze Familie, mit dieser Lotion zwei Mal am Tag eincremen. Drei Tage lang. In der Zeit müssen Sie alles waschen: alle Kleider, die getragen wurden, alle Kissen, auch die Couchkissen, und den Kinderwagen. Die Matratzen saugen Sie ab und legen Sie an die Luft, die Krabbeldecke frieren Sie erst ein, anschließend waschen Sie sie.«
Mir wurde ganz schlecht bei seiner ellenlangen Aufzählung und bei dem Gedanken, dass sich der Rest der Familie auch noch anstecken könnte. Die letzten Monate steckten mir immer noch in den Knochen, und nun das! Woher sollte ich die Kraft nehmen und zur Putzmaschine werden?
Zu Hause beschloss ich erst einmal, eins meiner Toten-Hosen-Alben aufzulegen. Als Ansporn sozusagen. Ihre Musik und Texte brachten mich normalerweise immer in Fahrt, ganz egal, in welchem Seelenzustand ich mich befand. »Steh’ auf, wenn Du am Boden bist« hallte es in voller Lautstärke durchs ganze Haus. Und siehe da – die Putzmaschine begann, auf Hochtouren zu laufen. Ich desinfizierte und wusch, was das Zeug hielt, und wusste nach einigen Stunden gar nicht mehr, wohin mit all den Bergen Wäsche.
Doch schon am nächsten Tag kapitulierte ich. Da halfen auch keine Toten Hosen mehr. Ich rief die Vermittlungsstelle für Haushaltshilfen an. Das war nun das zweite Mal innerhalb von drei Monaten, dass ich um Hilfe bat. Das erste Mal bekam ich eine Unterstützung, nachdem wir erfahren hatten, dass wir die Eltern des vertauschten Kindes sind. »Könnte ich wieder die Haushaltshilfe bekommen, die ich damals hatte? Wir haben die Krätze, und ich schaff das hier nicht mehr.«
Am nächsten Tag stand Frau Altmeyer vor der Tür. Ich hätte sie umarmen können! Sie putzte und bügelte, ohne zu verschnaufen. Und die Klinik zahlte bereitwillig. So wurden die Wäscheberge nach und nach kleiner und Linas Juckreiz besser. Allerdings bekam sie nun Ekzeme.
Doch Dr. Bergmann erklärte mir, dass diese Ekzeme eine positive Reaktion des Körpers seien. »Die Milben
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