Überraschung kommt selten allein
Kirche lauerte eine Horde Fotografen, die nur für kurze Zeit Ruhe gaben, als Großtante Hilda ihnen mit ihrem Stock drohte. In der Kirche blieben die Bänke reihenweise leer. Als die kleine Trauergemeinde »Großer Gott, wir loben dich« sang, waren die Stimmen über der begleitenden Orgel kaum zu hören. Hannah fühlte sich besser, nachdem sie ihre kleine Ansprache über ihren Großvater gehalten hatte. Ihr Onkel las einen Auszug aus einem Aufsatz von Montaigne. Seine Hände zitterten, als er die Lesebrille aufsetzte, doch er sprach die Worte laut und mit Leidenschaft, als wollte er einen Krieg erklären.
Die zweite Lesung, ein wunderschönes Gedicht von Edna St. Vincent Millay, wurde sehr viel sanfter von ihrer Mutter vorgetragen, und alles ging gut, bis sie die letzten beiden Zeilen sprach:
Still gehen sie, die Intelligenten, die Geistreichen, die Mutigen.
Ich weiß. Aber ich billige es nicht. Und ich finde mich nicht damit ab.
An dieser Stelle brach sie in Tränen aus und musste von Tony weggeführt werden, während man von rechts Tante Hilda indigniert schnauben hörte, ob wegen der Worte oder der Tränen war nicht zu erkennen. Die Zeremonie endete mit einem Gedicht und einem letzten Lied über die Gefahren auf dem Meer, eine seltsame Wahl für jemanden, der bekanntermaßen eine Aversion gegen Boote jeder Art gehabt hatte. Das Gedicht »Der Soldat« von Rupert Brooke wurde von Tante Hilda gelesen. Man hatte es gewählt, weil Rupert Brooke Großvaters Lieblingsdichter gewesen war, was allerdings nicht unbedingt eine weise Wahl war. Die bekannten Worte »Und wenn ich sterbe, denkt nur dies: auf einem fernen Schlachtfeld irgendwo wird immer ein Stück England sein« waren ziemlich unpassend, da Großvater auf einem Friedhof in Hampshire begraben wurde und Großtante Hildas weihevolle Betonung der Worte »fernen Schlachtfeld« das Ganze nur noch grotesker machte.
Die üppige Auswahl an Kuchen und Sandwiches im Haus unterstrich die geringe Anzahl an Gästen nur. Es waren höchstens zwanzig Personen, von denen die meisten zur Familie gehörten. Tony, Lionel und Evie waren fantastisch, reichten Essen herum und sorgten dafür, dass sich alle unterhielten. Jacob aß sich durch die Platten mit Kuchen und Broten und sagte wenig. Hannah beobachtete, wie ihre Mutter dreimal den Raum verließ und mit verdächtig rot geränderten Augen zurückkam. Sie war beinahe erleichtert, als Tony beschloss, dass es an der Zeit war, seine Familie zurück nach Bath zu bringen.
Jetzt waren nur noch Großtante Hilda, Onkel Christopher, Tante Helen und Hannah bei Marma. Marma schlug vor, im Garten einen Sherry zu trinken, und Hannah erklärte sich sofort bereit, Gläser und die Flasche zu holen. Es tat gut, ein paar Minuten allein in der Küche zu sein. Sie betrachtete all die Sandwiches und kleinen Quiches und die Kuchen und spürte, wie sie langsam immer wütender auf die sogenannten guten Freunde ihrer Großeltern wurde, die nicht gekommen waren. Sie atmete einige Male tief durch. Wut würde Marma nicht helfen, dachte sie. Reiß dich zusammen, Hannah.
Sie suchte in der Speisekammer nach dem Sherry, als sie ihre Großmutter rufen hörte. Zurück in der Küche, sah sie den Sherry in Marmas Händen.
»Entschuldige, Liebes«, sagte Marma. »Ich hatte ihn ins Wohnzimmer gestellt, falls irgendjemand etwas Stärkeres als Tee will. Wenn du das Tablett mit den Gläsern trägst, nehme ich die Flasche. Hannah?«
»Ja, Marma?«
»Christopher und Helen fahren in ungefähr einer halben Stunde nach London zurück, und ich finde, du solltest mitfahren.«
»Ich wollte eigentlich bis morgen bleiben. Ich könnte dir beim Aufräumen helfen.«
»Hilda wird mir Gesellschaft leisten. Ich weiß, ihr denkt alle, sie ist schwierig, aber ich mag sie eigentlich sehr gerne. Und was das Aufräumen angeht, muss man einfach nur das Essen wegräumen. Fahr du nach Hause und verbring ein bisschen Zeit mit deinem netten Freund. Hast du nicht gesagt, er kommt heute Abend zurück? Ich mache es mir mit Hilda gemütlich.«
Hannah schaute aus dem Küchenfenster. Da saß Großtante Hilda auf der Terrasse. In ihrem grünen Seidenkleid ähnelte sie einer gigantischen Kröte.
Hannah saß auf dem Rücksitz hinter ihrem Onkel und ihrer Tante und wandte sich um, um Marma zu winken. Als Christopher auf die Straße abbog, sprach er ihnen allen aus der Seele, als er sagte: »Gott sei Dank ist das vorbei.«
Eine Zeitlang versuchte Tante Helen, die Stimmung aufzulockern, indem
Weitere Kostenlose Bücher