Überraschung kommt selten allein
ziemlich depressiv sein werden, deshalb sollten wir vielleicht etwas … ich weiß nicht. Etwas weniger Negatives aussuchen.«
»Weißt du, ich fand die Vorstellung von Michael, wie er rast und wütet einfach großartig …« Marma hielt inne. »Vielleicht hast du recht. Nun, wir können natürlich immer Hamlet nehmen ›Sein oder nicht sein …‹. Sehr interessant, wie er über Selbstmord nachsinnt.«
»Ja, schon.« Hannah rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Aber Marma, Großvater hat keinen Selbstmord begangen, und wir wollen doch nicht, dass die Trauergemeinde denkt, wir glauben das.«
Marma blätterte eine Seite weiter. »Wie wäre es mit Macbeth ? ›Nichts stand in seinem Leben ihm so gut, als wie er es verlassen hat …‹ Das ist doch hübsch.«
»Marma!«, rief Hannah und überlegte, wie sie taktvoll ausdrücken konnte, was sie sagen wollte. »Möchtest du, dass die Leute darauf herumreiten, wie er das Leben verlassen hat?«
Marma legte den Kopf schief, dann schüttelte sie ihn ganz leicht. »Weißt du«, sagte sie, »ich vergesse immer wieder, wie genau er gestorben ist. Zu dumm.«
»Ich finde, das ist eigentlich sehr vernünftig«, sagte Hannah, »aber trotzdem meine ich, du kannst das Zitat nicht nehmen.«
»Ich werde noch ein bisschen weitersuchen«, sagte Marma. »Ich glaube – klingelt da das Telefon?« Sie stand auf. »Ich gehe an den Apparat im Arbeitszimmer. Nimm dir noch ein Brot, Liebes, du musst essen, du bist viel zu dünn.«
Hannah lehnte sich zurück. Nichts stand in seinem Leben ihm so gut, als wie er es verlassen hat . Ein gefundenes Fressen für die Zeitungen. Ihre Mundwinkel zuckten. Sie entdeckte den Daily Telegraph auf der Anrichte und griff danach. Sie strich ihn glatt und ließ den Blick suchend über die erste Seite schweifen. In der rechten unteren Ecke war ein Foto ihres Großvaters. Die Bildunterschrift lautete:
Lord Trussler, 82, Politiker, Autor und Kritiker wurde am Freitag in den frühen Morgenstunden in einem Bordell in Streatham tot aufgefunden. Lesen Sie weiter auf S. 3
Der Artikel hätte schlimmer sein können. Er berichtete über seine Stellung in der Regierung unter Edward Heath und seine zentrale Rolle beim Eintritt Großbritanniens in die EWG 1972, seine Ministerämter unter Margaret Thatcher und John Major, seine Auftritte bei Question Time und Newsnight . Er pries seine Gewandtheit und Höflichkeit als Redner und erwähnte sogar, dass er und seine Frau immer als eines der eleganteren Paare auf den Parteitagen der Torys gegolten hatten. Erst im letzten Satz wurde näher auf die Umstände seines Todes eingegangen. »Der zweiundachtzigjährige Lord Trussler starb offensichtlich an einem Herzinfarkt, als er sich in einem Haus von zweifelhaftem Ruf in Streatham aufhielt.«
Arme Marma. Sie verhielt sich erstaunlich tapfer, doch Hannah vermutete, dass sie die bittere Wahrheit der Situation noch nicht ganz begriffen hatte. Vielleicht war das Getue um die Beerdigung genauso eine Ersatzbeschäftigung wie das Gucken von Western.
Hannah schlug die Zeitung zu und betrachtete noch einmal das Foto auf der ersten Seite. Das war ihr Großvater, die Haare mit Pomade zurückgekämmt, den Blick vertrauensvoll in die Kamera gerichtet. Er sah so gut aus, so distinguiert. Warum ging so ein Mann in irgendein schäbiges Etablissement und bezahlte für perversen Sex mit einer Fremden?
Sie hörte, wie die Tür des Arbeitszimmers geschlossen wurde, und legte die Zeitung schnell auf die Anrichte zurück. Hannah wusste in dem Moment, in dem Marma in die Küche kam, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Marmas Gesicht war gerötet, und sie blinzelte heftig, als hätte sie etwas im Auge. »Entschuldige, dass es so lange gedauert hat«, sagte sie. »Ich hatte ein ziemlich unangenehmes Gespräch mit Joan Cartwright. Sie hat gesagt, dass sie und Maurice entschieden haben, nicht zur Beerdigung zu kommen.«
»Warum nicht?«
»Oh.« Marma winkte ungeduldig ab. »Dumme Ausreden. Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet Joan so scheinheilig ist. Maurice wird bestimmt kommen.« Sie strich ihre Bluse glatt und klatschte in die Hände. »Es ist so ein herrlicher Tag. Ich koche uns einen Kaffee, und dann sollten wir einen Spaziergang machen.«
Im Zug nach London am nächsten Tag, die Sonntagszeitungen um sich ausgebreitet, dachte Hannah an den Spaziergang zurück und wusste, sie würde ihn nie vergessen. Marma war direkt ins Dorf marschiert, Hannah wie ein Dienstmädchen neben
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