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Überraschung kommt selten allein

Überraschung kommt selten allein

Titel: Überraschung kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Holt
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rief: »Wagen Sie es ja nicht wiederzukommen!« Atemlos blieb sie einen Augenblick lang stehen, dann kehrte sie ins Haus zurück.
    Ihre Großmutter hatte inzwischen den Tisch gedeckt und schnitt einige Scheiben von einem kleinen Laib Brot. Meine Großmutter, dachte Hannah, ist wirklich unglaublich. Irgendwie war es typisch Marma, dass sie sich anders als erwartet verhielt. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie kaum glauben, dass Marma erst vor weniger als vierundzwanzig Stunden erfahren hatte, dass ihr Mann im Bett einer Prostituierten gestorben war.
    »Komm her und setz dich, Liebes«, sagte Marma. »Auf dem Tisch steht Apfelsaft. Er ist sehr gut – direkt vom Bauernhof. Danke, dass du diese Leute rausgeworfen hast. Ich fand sie schrecklich ermüdend. Du hast mich an Jesus erinnert, als er die Wucherer aus dem Tempel geworfen hat – sehr beeindruckend!«
    »Ich bin nicht wie Jesus«, sagte Hannah. »Ich hätte sie erwürgen können. Wie können sie es wagen, dich so zu belästigen. Du hättest sie gar nicht ins Haus lassen dürfen.«
    »Ich weiß, das war dumm von mir, aber diese Moira sagte, sie müsse aufs Klo, und der Mann mit der unangenehmen Nase meinte, ihr Chefredakteur bestehe darauf, dass sie so lange bleiben, bis sie mit mir geredet haben. Bitte nimm etwas Käse, Hannah. Der Cheddar ist besonders gut.«
    »Du solltest nicht allein hier sein. Ich wette, es kommen noch mehr Reporter. Warum fährst du nicht ein paar Tage zu Mum oder Christopher? Sie würden sich so freuen.«
    »Unsinn. Ich muss die Beerdigung organisieren. Und außerdem hat Michaels Schwester ihr Kommen angedroht. Sie würde jeden verjagen.«
    Das stimmte. Großtante Hilda mochte zwar neunundsiebzig sein, aber sie hatte die Figur eines Pitbullterriers und das dazu passende Temperament. »Also, sollte sie je noch absagen, würde Mum bestimmt gerne kommen. Sie könnte dir das Essen für den Leichenschmaus abnehmen.«
    »Ich habe über die Beerdigung nachgedacht«, sagte Marma. »Ich habe mit dem Pfarrer gesprochen. Ein ausgesprochen netter Mensch. Er hat angeboten, eine kleine Grabrede für Michael zu halten, aber ich glaube, es wäre mir lieber, wenn er es nicht tut. Michael kann … konnte … ihn nicht ausstehen, und ihm wäre die Vorstellung zuwider gewesen, dass ein Pfarrer die Grabrede hält. Ich dachte, vielleicht könnten du und Jacob ein paar Worte sagen. Leider wird euer Cousin nicht da sein. Er wäre sofort aus den USA angereist, aber ich habe Christopher gebeten, ihm auszurichten, er soll dortbleiben. Ich bin sicher, du und Jacob schafft das allein.«
    »Es wäre uns eine Ehre.«
    »Gut. Und was die Lieder angeht, ich will natürlich ›Jerusalem‹ und ›Lasst uns Gott, den Schöpfer preisen‹. Und Michael liebte ›Großer Gott, wir loben dich‹.« Marma räusperte sich und fing plötzlich an zu singen:
    » Großer Gott, wir loben dich,
    Herr, wir preisen deine Stärke,
    Vor dir neigt die Erde sich
    Und bewundert deine Werke.
    Wie du warst in aller Zeit,
    So bleibst du in Ewigkeit. «
    Sie brach ab und sagte: »Ich finde, das ist angemessen, meinst du nicht?«
    »Ja«, sagte Hannah und überlegte, ob jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt war, die dummen Ausflüge ihres Großvaters anzusprechen.
    »Und dann sind da die Lesungen«, sagte Marma. »Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen und habe ein paar Vorschläge aufgeschrieben. Möchtest du sie hören?«
    »Gern«, sagte Hannah. »Kann ich noch Apfelsaft haben?«
    »Natürlich, Liebes, nimm dir nur. Ich hole mein Notizbuch.«
    Hannah sah Marma nach, wie sie aus der Küche eilte, und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie hatte immer angenommen, sie hätte ihre sonderbare Art von der Familie ihres Vaters geerbt. Jetzt fragte sie sich, ob sie der falschen Seite die Schuld gegeben hatte. Ihre Mutter schaute Western, und ihre Großmutter benahm sich, als organisiere sie eine Geburtstagsparty. Aber das war natürlich nichts gegen ihren Großvater und seine Heldentaten. Ihr Großvater war am sonderbarsten von allen. Hannah füllte ihr Glas auf und schnitt sich noch ein Stück Käse ab.
    Marma kehrte mit dem Notizbuch in der Hand und der Brille auf der Nasenspitze zurück. »Also, meine Liebe, mein Favorit ist das Gedicht von Dylan Thomas über den Tod. Weißt du, welches ich meine? Ich liebe die Zeilen, in denen er sagt, ›im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht‹.«
    »Es ist wundervoll«, sagte Hannah, »und es ist sehr deprimierend, und ich weiß, dass alle sowieso

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