Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überraschung kommt selten allein

Überraschung kommt selten allein

Titel: Überraschung kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Holt
Vom Netzwerk:
sich. Jedes Mal, wenn sie einen Bekannten trafen oder auch nur in der Ferne sahen, rief Marma: »Hallo! Haben Sie gehört, dass Michael tot ist? Seine Beerdigung ist am Freitag! Bis dann!«
    Die Reaktionen rangierten von nervös-überschwänglich – »Ach, Philippa, ich wollte Sie anrufen … Ich habe es gelesen … Ich habe es heute Morgen gehört, schrecklich traurig, und das muss Ihre Enkelin sein, sind Enkelkinder nicht ein Segen in Zeiten wie diesen?« – bis hin zu knappen oder einfach panischen Antworten. Als sie sich der Kirche näherten, trafen sie auf eine Frau, die ein Grab pflegte und prompt aus dem Blickfeld verschwand, als sie sie kommen sah. Marma spähte gnadenlos über die Mauer und erwischte ihr Opfer am Boden kauernd.
    »Ah, Marjorie«, sagte sie, »hast du das von Michael gehört? Er ist tot.«
    Marjorie sah auf, das Gesicht so rot wie die Rosen auf dem Grab. »Ich habe es gehört«, sagte sie. »Ich habe es in der … Es tut mir so leid.«
    »Die Beerdigung ist am Freitag«, sagte Marma. »Bis dann!«
    Bei dem Gedanken an Marjories verschrecktes Gesicht kicherte Hannah leise. Marma war großartig gewesen. Hannah ließ sie gar nicht gern allein.
    Jetzt saß sie im Zug und blätterte die Sonntagszeitungen durch. Die Sunday People titelte sensationslüstern LORD TRUSSLER IN FESSELN ! und beschrieb recht anschaulich die zahlreichen Dienste, die das »Haus der Sünde in Streatham« anbot. Die News of the World hatte ein Exklusiv-Interview mit einer jungen Frau namens Sukie Starlight. Sukie war mit Lord Trussler im Bett gewesen, als er gestorben war, und erklärte, sie würde sich nie mehr von dem Schock erholen. Michael, beteuerte sie, sei echt nett gewesen, ein regelmäßiger Kunde, immer höflich, er hätte sich immer bedankt, wenn sie ihn schlug. Manche Menschen mochten ihn für pervers halten, aber Sukie war das egal. Er war einfach ein Mensch, der Liebe brauchte und nur konnte, wenn er eine ordentliche Tracht Prügel bekam. Und er stand zwar auf Handschellen, aber in besagter Nacht hätten sie sie nicht benutzt. Sukie sagte, er wäre ein süßer, alter Mann gewesen, und sie hätte ihn gern glücklich gemacht.
    Bei Weitem schlimmer war der Artikel von Moira Crewe in einer anderen Zeitung. Unter der Schlagzeile: » SO SIND DIE MÄNNER «, SAGT DIE FRAU DES PERVERSEN MINISTERS ! prangte ein Foto von einer verwirrt dreinschauenden Marma. Moira deutete mit vermeintlich tiefem Mitgefühl an, dass die Kälte seiner Frau, die sich nur für ihren Garten interessierte, Lord Trussler in die Arme einer Prostituierten getrieben habe. Und sie schloss daraus, dass Lady Trussler jegliches Verständnis für die sexuellen Bedürfnisse ihres Mannes gefehlt haben dürfte – etwas, das symptomatisch für Frauen in einem gewissen Alter und aus einer gewissen Schicht sei. Zumindest war das Moiras Meinung …
    Aber Hannah hatte genug von Moira. Sie schlug die Zeitung zu, lehnte sich zurück und dachte wieder an den Spaziergang durchs Dorf. Nur einmal war Marmas Entschlossenheit ins Wanken geraten, und das war auf dem Rückweg, als sie Maurice mit seinem Hund begegneten. Er hatte Marma mit einem mitleiderregenden und verzagten, halb flehenden, halb lächelnden Blick angesehen. Marma hatte einen Moment gewartet, ehe sie das Kinn reckte und weiterging.
    Während der nächsten Tage griffen die seriösen Zeitungen Marmas Kommentar – »so sind die Männer« – auf. Auf den Meinungsseiten erschien eine Fülle von Artikeln über die exakte Bedeutung dieser Worte. Hatte Lady Trussler von den persönlichen Eigenarten ihres Mannes gewusst? Wie viele Männer gab es mit dieser Neigung? Hatten Prostituierte eine wichtige Rolle für die Beständigkeit vieler Ehen? Wie viele Achtzigjährige hatten solche sexuellen Bedürfnisse? Sollten Achtzigjährige überhaupt sexuelle Bedürfnisse haben?
    Am Freitag machte sich Hannah auf den Weg zur Beerdigung. Kitty hatte angeboten mitzufahren, und Alfie, der immer noch drehte, hatte gesagt, er könne wahrscheinlich am Abend kommen. Hannah war dankbar, hatte jedoch beide Angebote abgelehnt. Sie wusste, dass Kitty am Wochenende nach Cheshire wollte, und zu Alfie sagte sie: »Marma würde dich sehr gerne kennenlernen, aber der Abend nach Großvaters Beerdigung ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bleibe über Nacht bei Marma und komme Samstag wieder. Es geht mir gut.«
    Tatsächlich ging es ihr gar nicht gut. Die Beerdigung und das anschließende Beisammensein waren schrecklich. Vor der

Weitere Kostenlose Bücher