Überraschung kommt selten allein
Salat zuzubereiten und dem blöden Kunden zu liefern; zur Belohnung schlief sie so gut wie seit Tagen nicht.
Am folgenden Morgen schrieb sie beim Frühstück ihre Einkaufsliste und versuchte, während sie zum Auto ging, das schlechte Gewissen abzuschütteln, das seit dem Gespräch mit Tony mehr und mehr an ihr nagte. Als sie zum zweiten Mal in zwei Tagen zum Supermarkt fuhr, schaltete sie das Radio ein und konzentrierte sich auf die laufende Sendung. Die beiden Moderatoren unterhielten sich scherzhaft über Reality-Shows, doch es war klar, dass keiner von beiden wusste, wovon er sprach, da sie über Big Brother wie über irgendeine obskure Krankheit sprachen. Dann begann einer der beiden ein Interview mit dem Bildungsminister über die überraschenden Ergebnisse einer neuen Umfrage, bei der herausgekommen war, dass eine große Anzahl von Eltern mit den Schulen ihrer Kinder unzufrieden war.
Es gab keinen Zweifel: Tonys Anruf ärgerte sie. Sie hätte schwören können, dass ihr Bericht über Daniels Besuch ihn amüsiert hatte, und wenn das stimmte, war es nur umso ärgerlicher. Aber sie hatte auch den deutlichen Eindruck, dass er nicht nur schockiert war, weil sie seinem Freund eine geknallt hatte, sondern auch fand, dass es nicht gerechtfertigt war.
War es denn wirklich unangebracht gewesen? Nein, war es nicht. Der Mann hatte ihr mehr oder weniger unter die Nase gerieben, dass Pa zu Prostituierten gegangen war. Alberta hielt an einer Ampel und kaute auf ihrer Unterlippe. Es stimmte, sie hatte angedeutet, dass Daniel mit Prostituierten schlief, aber Daniel hatte auch ziemlich deutlich gemacht, dass er es nicht schlimmer fand, als Eier aus Käfighaltung zu kaufen. Obwohl Alberta der festen Überzeugung war, dass es falsch war, Eier aus Käfighaltung zu kaufen. Sie schreckte auf, als der Fahrer hinter ihr hupte, und merkte, dass die Ampel bereits auf Grün geschaltet hatte.
Leise fluchend fuhr sie schnell weiter. Sie war wütend auf Daniel, weil sie sich seinetwegen so schrecklich fühlte. Normalerweise benahm sie sich nicht daneben, und sie hasste es, in eine Situation gebracht zu werden, in der sie sich Gedanken machen musste, ob sie sich schlecht benommen hatte. Bis zu dem Telefonat mit Tony hatte selbstgerechter Zorn sie getrieben: Sie hatte zugeschlagen, um ihren Vater zu verteidigen. Die Ohrfeige für Daniel hatte all den schmierigen Menschen gegolten, die es wagten, ihren Vater zu verdammen.
Das Dumme war nur, dass Daniel ihn nicht verdammt hatte. Daniel hatte gesagt, der ganze Skandal sei kein Weltuntergang. Doch er hatte auch gesagt, dass er noch nie bei einer Prostituierten war. Vielleicht fühlte er sich ja durch ihre Andeutung, er habe es getan, angegriffen. Das Ganze war lächerlich. Sie würde den Mann nicht wiedersehen, deswegen war das alles egal.
Sie stellte das Radio lauter und merkte, dass die Diskussion über die britischen Schulen irgendwie in ein Gespräch über Fußball mit Gary Wer-auch-immer übergegangen war. Sie bog auf den Parkplatz des Supermarkts ein und schwor sich, nie wieder einen Gedanken an Daniel zu verschwenden. Sie hoffte und vertraute darauf, dass Tony unter den gegenwärtigen, traurigen Umständen sensibel genug war und keine weiteren Kommentare zu ihm abgeben würde.
Es stellte sich heraus, dass Tony kein bisschen sensibel war. Als sie ihn am Abend vom Bahnhof abholte, bedachte er sie mit einem schiefen Grinsen und fragte: »Und wem hast du heute eine gescheuert?«
»Sehr komisch.« Alberta ließ den Wagen an und fuhr los. Ganze fünf Sekunden lang wahrte sie würdevolles Schweigen, dann fragte sie – und sie hasste sich dafür: »Hast du heute mit Daniel gesprochen?«
»Ja, ich habe ihn heute Morgen angerufen.« Er seufzte. »Guck nicht so, es ging nicht um dich . Ich wollte mit ihm über den Job in Reading reden.«
»Hat er etwas über mich gesagt?«
»Er hat erzählt, dass er dich besucht hat und dich aufheitern wollte.«
»Aha.« Alberta warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. »Was hast du gesagt?«
»Ich glaube, ich sagte ›Ach wirklich?‹«
»Sehr gut, Tony, super Antwort. Was hat er geantwortet?«
»Er meinte, er habe wohl einen starken Eindruck bei dir hinterlassen. Und anders herum genauso.« Tony kicherte. »Ich wette, das hast du. Ich wette, der arme Kerl konnte hinterher kaum sein Gesicht bewegen.«
»Willst du, dass ich mich noch schlechter fühle? Was hast du dann gesagt?«
»Ich habe angefangen, über den Job in Reading zu reden. Ob du es glaubst
Weitere Kostenlose Bücher