Überraschung kommt selten allein
oder nicht, wir haben dann nicht mehr über dich gesprochen.«
Alberta verfiel wieder in würdevolles Schweigen, was, wie sie hoffte und erwartete, Tony zu einer zerknirschten Entschuldigung bewegen würde. Das tat es nicht. Tony gähnte und streckte die Füße aus. Gereizt sagte Alberta: »Ich weiß, du denkst, ich bin im Moment unglaublich mit mir selbst beschäftigt …«
»Natürlich bist du das«, sagte Tony. »Etwas anderes erwarte ich gar nicht. Du hast deinen Vater angebetet.«
»Und du hast ihn nie gemocht«, sagte Alberta.
»Es ist schwierig, jemanden zu mögen, der deutlich sagt, dass mein Vorgänger der perfekte Schwiegersohn überhaupt war. Aber es ist egal, was ich von ihm gehalten habe. Ich weiß, was er dir bedeutet hat. Es überrascht mich nicht, dass du ab und zu mal ausrastest.«
Alberta bog in den Cleveland Walk ein. »Willst du damit sagen, dass das mit Daniel ein Ausraster war?«
»Lass uns nicht mehr über Daniel reden«, schlug Tony vor, was sie erst recht ärgerte, wo er doch überhaupt erst angefangen hatte, über ihn zu reden.
Sie parkte den Wagen und sah stumm zu, wie er nach seiner Tasche auf dem Rücksitz griff, ausstieg und ins Haus ging. Sie stellte den Motor ab und schaute aufgebracht in Tonys Richtung. Wahrscheinlich sollte sie dankbar sein, dass er wenigstens die Haustür für sie offen gelassen hatte. Er fand also, dass sie mit sich selbst beschäftigt war. Schön. Sie würde nicht mehr über Pa oder ihre Gefühle für Daniel oder sonst irgendetwas sprechen, das sie beunruhigte. Es war offensichtlich, dass Diana nicht die Einzige war, die fand, dass zwei Wochen absolut genügten, um den Verlust des Vaters unter so skandalösen Umständen zu verkraften.
Sie nahm an, dass Tony gleich nach oben gegangen war, um sich umzuziehen. Sie ging in die Küche, wo Jacob die Käsedose plünderte. »Jacob!«, protestierte Alberta. »Ich habe doch gesagt, wir essen, sobald ich Tony abgeholt habe. Ich muss nur noch den Kartoffelbrei machen und die Bohnen kochen.«
»Entschuldigung«, sagte Jacob. »Vom Lernen kriege ich immer schrecklichen Hunger.« Er schaute sie fragend an. »Im Kühlschrank steht eine Flasche Wein. Soll ich sie aufmachen? Du siehst müde aus.«
»Gute Idee«, sagte Alberta sofort besänftigt. »Nimm dir auch ein Glas.« Sie griff nach der Schürze, die an der Rückseite der Küchentür hing. »Morgen hast du keine Prüfungen, oder?«
»Nein, meine letzte ist am Montag.« Jacob wühlte in der Küchenschublade und zog den Korkenzieher heraus. »Gott sei Dank. Ich finde es extrem schwierig, das notwendige Interesse für diese Prüfungen immer auf dem gleichen Level zu halten.« Er nahm drei Gläser aus dem Schrank, entkorkte die Flasche und schenkte zwei Gläser ein. »Prost, Mum.« Er hob sein Glas. »Auf dich.«
Alberta, die dabei war, die Kartoffeln zu pürieren, hielt inne. »Danke, Jacob. Womit habe ich das verdient?«
»Ich finde dich ziemlich cool. Großvater stirbt, was furchtbar ist, und dann noch der ganze schreckliche Presserummel. Eine Menge Leute würden hysterische Anfälle oder einen Nervenzusammenbruch kriegen. Du schaust einfach ein paar Western, denkst ein bisschen über alles nach und machst still und leise mit deinem Leben weiter.«
»Na ja«, sagte Alberta ein wenig unbehaglich. »Da wäre ich mir mal nicht so sicher.«
»Es stimmt.« Jacob hob wieder sein Glas, als sein Vater in die Küche kam. Er hatte das blaue Hemd mit seinem ältesten T-Shirt getauscht. »Schenk mir auch ein Glas ein, Jacob. Warum trinken wir auf deine Mutter? Was willst du diesmal?«
»Dad«, sagte Jacob, »du bist so ein Zyniker. Kannst du nicht akzeptieren, dass ich manchmal einfach nur etwas Nettes sagen will?«
»Du und einfach – das passt nicht zusammen. So wenig wie grünes Kryptonit und Superman.«
»Das ist so eine schlechte Analogie. Grünes Kryptonit hatte die Fähigkeit, Superman zu zerstören. Einfachheit kann mich nicht zerstören, sie langweilt mich nur.«
»Da hast du es, mein Sohn. Du hast gerade zugegeben, dass dich Einfachheit langweilt. Ergo gehst du auch allem Langweiligen aus dem Weg.«
Alberta spürte beim Prüfen der Hühnerpastete, wie sich die unsichtbaren Seile um ihr Herz zu lockern begannen. Dies war das erste richtige Familienessen seit Pas Tod. Der freundschaftliche Schlagabtausch, der so charakteristisch für die Beziehung zwischen Vater und Sohn war, hatte ihr gefehlt. Als sie die Bohnen ins kochende Wasser schüttete, warf sie Jacob
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