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Überraschung kommt selten allein

Überraschung kommt selten allein

Titel: Überraschung kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Holt
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einen schnellen Blick von der Seite zu. Er war so anders als Tony; wenn sie nebeneinanderstanden, käme kein Mensch auf die Idee, dass sie verwandt waren. Jacob sah aus wie eine dieser Blumen, die zu schnell wachsen. Sein Körper war lang und dünn und schien nie in seine Kleider zu passen. Heute trug er seine fadenscheinige rotbraune Jacke und eine schwarze Hose. Seine Haare sahen wie immer aus, als bräuchten sie einen Haarschnitt, und seine Brille rutschte ihm ständig von der Nase. Sein Vater neben ihm sah einfach nur gut aus in seiner Jogginghose und dem T-Shirt, das die Tournee irgendeiner nicht mehr existierenden Popgruppe verkündete. Hannahs Freundinnen auf der Uni fanden Tony immer unglaublich cool mit seiner sanften, lakonischen Art zu sprechen und der schlanken Figur. Alberta beobachtete, wie Tony über einen Satz von Jacob lachte, und merkte auf einmal, dass sie Tony seit Wochen nicht so entspannt erlebt hatte.
    Sie nahm die Pastete aus dem Ofen und verkündete, dass das Essen fertig sei und der Tisch gedeckt werden müsse. Während ihre Männer mit Wein und Besteck bewaffnet ins Esszimmer zogen, goss sie die Bohnen ab. Pa war tot. Pa war tot, und sie würde ohne ihn weitermachen. Pa war tot, und sie würde still und ruhig sein.
    Sie ging zu Tony und Jacob ins Esszimmer. Vater und Sohn hatten eine ihrer typischen, munteren Diskussionen über Mauds fünfzehnjährigen Bruder. Carton betrieb seit drei Monaten eine Kampagne für mehr Freundlichkeit, inspiriert durch einen Vortrag des Erzbischofs von Canterbury. Carton hatte, sehr zur Verwunderung seiner Eltern, Gott gefunden. Tony äußerte allerdings Zweifel an Cartons neuem Projekt, mit der Begründung, dass Carton schon anstrengend genug gewesen sei, bevor er beschlossen hatte, ein wenig Liebe in die Welt zu streuen.
    »Ich finde, du bist unfair«, widersprach Jacob. »Er folgt nur Plato. Weißt du, was Plato gesagt hat?«
    »Du weißt ganz genau«, sagte Tony, »dass ich über Plato genauso viel weiß wie du über die Musikbranche.«
    »Also, Plato sagte, der Sinn des Lebens sei Liebe, und genau das glaubt Carton. Hast du von der Kindness Crew gehört?«
    Tony zog ein Gesicht. »Gott sei Dank nicht.«
    »Das sind vier Amerikaner, die 2001 diese Gruppe als Antwort auf den elften September gegründet haben. Seitdem haben sie über sechsundfünfzigtausend Mal für irgendjemanden etwas Nettes getan. Carton will ihren Rekord brechen.«
    Tony schüttelte den Kopf. »Nur in Amerika«, sagte er, »gibt es Menschen, die jede gute Tat akribisch notieren. Kannst du dir das vorstellen? Jedes Mal, wenn Carton jemanden anlächelt oder Müll aufhebt oder jemandem über die Straße hilft, muss er sein Notizheft hervorholen und aufschreiben, was er getan hat. Es muss so verführerisch sein, die Zahlen in die Höhe zu treiben, indem man einen nach dem anderen anlächelt und es jedes Mal notiert …«
    »Dann wäre das ganze Projekt sinnlos«, entgegnete Jacob. »Maud macht es auch. Sie wird ihm fehlen, wenn sie weggeht.«
    »Wohin geht Maud?«
    »Sie fährt nach Frankreich.« Jacob lächelte seine Eltern an. »Ich auch.«
    Alberta, die schweigend ihre Pastete gegessen und darüber nachgedacht hatte, ob sie zu wenig Pilze hineingetan hatte, sah erstaunt auf. »Für wie lange?«
    »Weihnachten sind wir wieder da.«
    Verblüfftes Schweigen folgte seinem Satz, das schließlich von Tony gebrochen wurde, der sein Glas abstellte und ausdruckslos sagte: »Wie nett von dir, uns über deine Pläne zu informieren.«
    Alberta, gerade noch von ihrem Sohn für ihre Gelassenheit gepriesen, hatte Mühe, ruhig zu sprechen. »Wann fährst du denn?«
    Jacob schob seine Brille hoch. »Wir fahren am Mittwoch.«
    »Aha«, sagte Tony. »Nur damit ich es richtig verstehe. In ein paar Tagen verlässt du uns für sechs Monate. Hast du das alles schon sehr lange geplant?«
    »Mauds Tante hat ein Hotel in Avignon. Sie hat vor ungefähr einem Monat angerufen und gefragt, ob wir während der Sommersaison dort arbeiten wollen. Ich wollte es euch schon früher erzählen, aber dann ist Großvater gestorben. Wir werden bis Oktober dort arbeiten und dann ein bisschen durch Europa reisen. Ich werde versuchen, euch E-Mails zu schicken, wenn ich kann.«
    »Danke«, sagte Tony. »Das ist überaus nett.«
    »Aber was ist mit der Schule?«, fragte Alberta. »Musst du zum Schuljahrsende nicht da sein?«
    »Nein. Am Montag sind meine Prüfungen vorbei. Es gibt keinen Grund, noch mal hinzugehen. Können wir Lionel

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