Überraschung kommt selten allein
war am Telefon nicht ausgerastet. Sie trank einen kühlen, erfrischenden Schluck. Wenigstens hatte sie noch nicht angefangen zu kochen. Sie nahm den Auflauf aus dem Ofen. Den konnten sie auch morgen essen. Sie sollte Marma anrufen. Sie hatte seit Tagen nicht mehr mit ihr gesprochen. Aber dazu brauchte sie gute Laune, und im Augenblick hatte sie absolut keine gute Laune.
Es war die Hochzeit. Vielleicht war es töricht, sich wegen so einer unwichtigen Nachlässigkeit aufzuregen. Doch Alberta war sich nicht sicher, ob es wirklich unwichtig war. Es war ihr egal, wenn Lydia auffiel, dass sie nicht da war. Gut, es war ihr nicht egal, aber viel wichtiger war die Frage, warum Tony ihr die Einladung so lange verschwiegen hatte.
Alberta war sich bewusst, dass sie in den vergangenen Wochen schwierig und mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Doch durfte sie das unter diesen Umständen etwa nicht sein? Wenn Tony gesagt hätte, dass er mit ihr zu der Hochzeit wollte, wäre sie nur zu gerne mitgekommen. Er hatte nicht gewollt, dass sie mitkam, und er hatte nicht darüber reden wollen.
Das Telefon klingelte, und Alberta blickte es finster an. Wahrscheinlich war es wieder Dylan, der anrief, um einen weiteren einfühlsamen Gedanken über ihren Vater mit ihr zu teilen. Es könnte natürlich auch Tony sein, und sie würde ihm nur allzu gern auf die Nase binden, was sie von seinem Sohn hielt. Sie hob ab.
»Hallo, Mum.« Hannah klang müde.
»Liebling, wie schön, deine Stimme zu hören.« Alberta zog einen Küchenstuhl heran und setzte sich. »Ich hatte gerade einen sehr unerfreulichen Anruf von Dylan.«
»Wann ist Dylan nicht unerfreulich?«
»Diesmal hat er sich selbst übertroffen. Er und Tony waren auf Lydias Hochzeit. Dylan meinte, mir unbedingt mitteilen zu müssen, dass er all seinen Kumpels von Pas Tod erzählt hat, und wie cool sie es finden. Dylan sagte, er würde auch gern so sterben.«
»Er ist ein solcher Schwachkopf.«
»Ich will gar nicht mehr über ihn reden. Schon der Gedanke an ihn bringt mich zur Weißglut. Erzähl du mir lieber etwas. Wie geht es Alfie? Hat er das Königin-Isabella-Drama abgedreht? Wird es ein Erfolg werden? Hatte er die Sexszene mit seiner Prinzessin schon?«
Einige Augenblicke herrschte Schweigen am anderen Ende. Dann kam: »Das kann man wohl sagen!«, gefolgt von etwas, das klang wie ein Schluchzen.
»Liebes?« Alberta nahm das Telefon und stand auf. »Hannah? Hannah, Kleines? Was ist passiert?«
Ein wahrer Sturzbach von Tränen ergoss sich ins Telefon, während Alberta entsetzt in der Küche umherlief und dann durch die Diele ins Wohnzimmer. »Hannah, was ist los?«
Hannah schniefte ausgiebig. »Die Sexszene hatte er schon«, stieß sie hervor. »Die Sexszene war schon. Die Sexszene hatte er in meinem Bett!«
Einen Moment lang versuchte Alberta zu begreifen, warum die Filmfirma eine Szene in Hannahs Schlafzimmer drehte. »Meinst du …«, setzte sie an, »er hat … Ich verstehe nicht.«
»Ich bin von Großvaters Beerdigung zurückgekommen und hab ihn mit Prinzessin Blanche in meinem Bett vorgefunden. Und als sie mich entdeckt haben, versuchte Alfie, so zu tun, als probten sie ihre letzte Szene.«
»Nun, vielleicht stimmt das ja«, sagte Alberta. »Vielleicht wollte Alfie nur ein bisschen Method Acting praktizieren …«
»Genau«, sagte Hannah, »in dem Fall war es bemerkenswert gründlich. Sie hatten nichts an, sie war auf Händen und Knien, und Alfie attackierte sie von hinten, als hätte er ein Jahr lang keinen Sex gehabt!«
»Oh, Hannah, wie grauenvoll für dich!« Erstaunlich, wie schnell Alfie mit einer Erklärung bei der Hand gewesen war. Auf eine widerliche Art wirklich beeindruckend. »Oh, Süße, das tut mir so leid. Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«
»Ich konnte es niemandem erzählen. Nur Kitty weiß davon, und ihr habe ich es nur gesagt, weil ihr Bruder nicht mehr hier war, als sie zurückkam.«
»Das muss ihr schrecklich unangenehm sein.«
»Sie ist stinksauer auf Alfie. Sie war großartig.«
»Ist sie heute Abend da?«
»Nein, ich bin allein.«
»Warum kommst du morgen nicht her? Es wird nur …« Alberta zögerte. »Dylan wird da sein.«
»Tut mir leid, aber Dylan ist der zweitletzte Mensch, den ich im Augenblick aushalte. Außerdem habe ich unheimlich viel zu tun. Es geht mir gut.«
»Du klingst nicht so.«
»Na ja. Es ist nicht besonders schön, wenn man herausfindet, dass jemand, den man wirklich liebt, dich nicht
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