Überraschung kommt selten allein
fertiggeworden. Vielleicht hat sie dich nicht angerufen, weil sie einfach nicht stark genug dafür war.«
»Eine super Theorie, nur dass du eins vergessen hast. Warum hat Christopher mir nichts davon erzählt, wenn es so war? Als er und Helen nach London zurückkamen, sagte er, ohne Marma hätten sie es nicht geschafft. Er hat erzählt, Marma ist immer mit Richard spazieren gegangen, hat ihn in den Schlaf gewiegt und köstliche, pürierte Mahlzeiten für ihn gekocht. Gut möglich, dass ich mich irre, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand, der einen Nervenzusammenbruch hat, all das tun kann.«
»Woher willst du wissen, was jemand in so einer Situation tun kann? Wie auch immer, dies ist verrückt. Wir reden von etwas, das zwanzig Jahre her ist. Kannst du es nicht einfach vergessen?«
»Du hast leicht reden. Du musst nicht einen Artikel lesen, der versucht, die Unmoral deiner Mutter zu rechtfertigen, indem er deinen Vater vorsätzlich durch den Dreck zieht. Mein Vater war ein stolzer Mann. Es muss die Hölle für ihn gewesen sein herauszufinden, dass seine Frau ihn mit irgendeinem jungen Möchtegernpolitiker betrogen hat. Ich sage dir was. Ich finde es richtig schade, dass Marma auf Kreta ist. Sie sollte das hier lesen. Jemand sollte es ihr zeigen.«
Tony sah sie neugierig an. »Das meinst du ernst, nicht wahr?« Er schob den Stuhl zurück und erhob sich. »Womit hat deine Mutter so eine Tochter verdient?«, fragte er.
Sie war zu aufgebracht, um zu antworten. Tony verteidigte ihre Mutter, ohne auch nur einen Moment daran zu denken, was sie durchmachte. Er hatte eindeutig nie versucht, die ganze Tragödie ihres Lebens nach Eds Tod zu verstehen. Ihre Mutter hatte sie im Stich gelassen, und jetzt war sie diejenige, die schuld daran war. Es war nicht fair. Sie konnte Tony nicht einmal ansehen. Erst nachdem er wortlos den Raum verlassen hatte, hob sie den Kopf und begann zu weinen.
Jacob hatte ziemlich danebengelegen, als er meinte, seine Eltern würden bald romantische Abende miteinander verbringen. Ohne jede Erklärung kehrte Tony bereits am Sonntagabend nach London zurück und meldete sich nur kurz am Mittwoch, um ihr mitzuteilen, dass er erst Freitag heimkommen würde.
Alberta wollte ihn sowieso nicht sehen. Sie hatte eine grässliche Woche und war nicht in der Verfassung, die Beziehung zu kitten. Erst vor wenigen Wochen war ihr geliebter Vater unter skandalösen Umständen gestorben. Und jetzt war ihre weniger geliebte Mutter Mittelpunkt eines weiteren Skandals, und während sie auf Kreta die Sonne genoss, beantwortete ihre Tochter Fragen von Journalisten, die wissen wollten, wie sie es fand, einen perversen Vater und eine geile Ehebrecherin als Mutter zu haben. Der einzige Mensch wiederum, bei dem sie verständlicherweise Trost suchen konnte, weigerte sich eigensinnig einzusehen, dass sie jeden Grund hatte, sich über die Wendung der Ereignisse aufzuregen. Und sie hasste ihn dafür, dass er offensichtlich von Ed das Schlimmste glauben wollte.
»Ed wollte mich schützen«, hatte sie gesagt, und Tony hatte geantwortet: »Verstehe«, und sie angesehen, als wollte er am liebsten noch etwas anderes sagen, was er sich dann aber verkniff. Sie hasste Menschen, die aussahen, als wollten sie etwas sagen, es dann aber ließen. Menschen, die das taten, hatten meistens so einen selbstgefälligen Blick: »Ich könnte jetzt etwas Kluges sagen, aber das lasse ich lieber, weil du zu zerbrechlich/leidend/mitgenommen bist, um es zu ertragen« könnte man ihn frei übersetzen.
Sie wusste , was Tony gemeint hatte, als er nichts gesagt hatte. Tony wollte sagen, dass ihre Beziehung zu Ed nicht die wunderbare Beziehung war, für die sie sie immer gehalten hatte. Tony wollte sagen, dass Ed Geheimnisse vor ihr gehabt hatte und dass ihre Beziehung demzufolge irgendwie verlogen gewesen war.
Tony glaubte das, weil er Ed nicht gekannt hatte und weil er keinerlei Beschützerinstinkt in sich hatte. Seine Vorstellung von einer Beziehung war während seiner Ehe mit Lydia entstanden, und Lydia war zäh wie altes Leder. Tony glaubte, dass Männer, die ihre Frauen beschützen wollten, gestört waren oder einen Kontrollzwang hatten, weswegen er auch keine Western mochte. Tony glaubte, dass John Wayne, Spencer Tracy, Randolph Scott, James Stewart, Gary Cooper und Clint Eastwood emotionale Dinosaurier waren und hielt Alberta ebenfalls für einen Dinosaurier, weil sie sie mochte.
Am Freitag hatte Alberta alle Hände voll zu tun und kam
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