Überraschung kommt selten allein
sie und floh aus dem Haus.
»Du sollst wissen«, sagte Jacob, »dass du mein volles Mitgefühl hast.«
»Danke.« Alberta zog mit einer Hand die Decke hoch, während sie mit der anderen das Telefon hielt. »Das bedeutet mir viel.«
»Ich verstehe sehr gut, was du durchmachst. Ich habe mit Hannah gesprochen.«
Alberta umklammerte das Telefon fester. »Ach, hast du? Ich bin nicht sicher, ob Hannah es überhaupt versteht.«
»Also, ich schon. Du machst eine zweite Pubertät durch. Ich habe eine ähnliche Phase erst vor Kurzem verlassen. Du und ich haben viel gemeinsam.«
»Jacob, ich mache keine zweite Pubertät durch.«
»Mum, du bist fünfundvierzig.«
»Danke, dass du mich daran erinnerst«, sagte Alberta.
»Ich versuche nur zu sagen, dass du damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Wechseljahren bist.«
»Ich bin nicht in den Wechseljahren. Glaub mir.«
»Maud sagt, dass die meisten Frauen …«
»Ich wünschte wirklich«, sagte Alberta wütend, »du und Hannah würdet unsere intimen Familienangelegenheiten nicht mit Hinz und Kunz beraten.«
»Maud«, sagte Jacob ein wenig steif, »ist nicht Hinz und Kunz.«
»Ich weiß. Tut mir leid. Es ärgert mich nur ein bisschen, dass meine Kinder annehmen, es sei eine zügellose, möglicherweise hormongesteuerte Laune von mir, wenn Tony und ich uns in Wahrheit sehr viel Zeit für diese schmerzliche Entscheidung gelassen haben.«
»Das ist der Punkt«, sagte Jacob. »Das hast du nicht.«
»Wie bitte?«
»Du hast dir nicht sehr viel Zeit damit gelassen. Als ich im Juni gefahren bin, ging es dir und Dad gut. Jetzt, keine sechs Wochen später, hast du beschlossen, eine Beziehung zu beenden, die beinahe zwanzig Jahre gehalten hat. Ich finde, du solltest warten, bis ich wieder zu Hause bin, dann können wir drei darüber reden.«
Vor Albertas innerem Auge entstand kurz ein Bild von Jacob, wie er zwischen seinen dankbar zuhörenden Eltern saß und gute Ratschläge erteilte. »Wann kommst du denn nach Hause?«, fragte sie.
»Also«, sagte Jacob, »ich arbeite bis Oktober im Hotel, und dann wollen Maud und ich noch nach Pompeji und vielleicht nach Rom, wenn das Geld reicht. Ich denke, ich werde Ende November zurück sein. Ich schlage vor, dass du und Dad euch hinsetzt und eine Liste mit allen Vorteilen fürs Zusammenbleiben und eine mit den Nachteilen macht. Du könntest die Liste mit den Vorteilen damit beginnen, dass du mir und Hannah eine Menge Unglücklichsein ersparst.«
»Ich weiß, aber …«
»Und wenn du Hilfe brauchst, zögere nicht, mir eine Mail zu schreiben. Wenn du magst, kannst du mir deine Listen schicken, wenn sie fertig sind.«
»Vielen Dank, aber …«
»Und in der Zwischenzeit solltest du Sport treiben. Das wird dir guttun. In deinem Alter ist das sehr wichtig.«
Was Alberta weder Evie noch Lionel oder Hannah oder Jacob sagte – sagen konnte –, war, dass ihre Beziehung mit Tony nie auf Dauer angelegt war. Sie war wie ein vorläufiges Klassenzimmer, eingerichtet für einen spezifischen Zweck, eine Übergangslösung, und wie mit so vielen vorübergehenden Klassenzimmern, war es eine Dauerlösung geworden.
Sie und Tony hatten sich eher aus dem Bedürfnis nach Trost als aus Liebe gefunden. Jeder hatte den anderen als Pflaster betrachtet, das das Herz während des Heilungsprozesses schützen sollte. Als Tony ihr und Hannah damals angeboten hatte, bei ihm einzuziehen, war es als Interimsarrangement gedacht, während beide versuchten, ihr Leben neu zu ordnen. Sie hatte gewusst, dass er Lydia noch liebte, und er hatte gewusst, dass sie Ed noch liebte. Beiden war es eine Hilfe, dass der eine verstand, was der andere durchmachte. Tony erzählte ihr, dass er nie jemanden so sehr lieben wollte, wie er Lydia geliebt hatte, und Alberta wusste genau, was er meinte. Einander gaben sie körperlichen und emotionalen Trost und erwarteten ansonsten nicht viel.
Jacobs Geburt hatte, das war wohl wahr, die praktische Natur ihrer Beziehung ziemlich untergraben. Aber selbst da hatten sie beide nicht begriffen, dass ein Baby alles ändern könnte. Als Tony vorschlug, nach Bath zu ziehen, hatte er die Idee mit einem Lachen und dem Versprechen, dass sie gehen könne, wann immer sie wolle, vorgetragen.
Tatsächlich hatte Alberta Bath vom ersten Augenblick an geliebt. Hannah war sofort in den Garten gerannt und hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihr neues Zuhause auch liebte. Die kleine Grundschule war perfekt und in nur zehn Minuten
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