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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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Mensch ist …“
    Der Rest des Satzes blieb in der Luft hängen.
    Vor einem Jahr hätte Eve eine spöttische Bemerkung gemacht. Doch das war, bevor sie Alan kennengelernt hatte. Bevor sie mit real existierenden Engeln und ihren halb menschlichen Nachkommen konfrontiert wurde und mit der vielschichtigen Bedeutung des Wortes Blut.
    „Was meinen Sie mit kein Mensch?“
    „Ich weiß nicht.“ Nervös wischte er sich über die Stirn. „Es gibt Gerüchte. Und letzte Woche habe ich einen Altar gesehen. In dieser Gegend hatten wir nie einen Santa Muerte Kult. Aber dieser Altar …“ Seine Stimme versiegte. „Tut mir leid. Das ist alles ein bisschen viel. Die Frau hatte vier Kinder und es gibt niemanden, der sich um sie kümmert.“

    Engelsbrut,
ISBN: 978-3-940235-89-3
    „Was für Gerüchte meinen Sie?“
    „Was die Leute eben so reden.“ Er knetete seine Hände. „Das sind einfache Menschen. Empfänglich für esoterischen Hokuspokus.“
    „Erzählen Sie es mir trotzdem.“
    „Sie sagen, Mariposa ist in der Stadt. Die dunkle Schwester von Santa Muerte.“
    „Der heilige Tod?“ Eve legte den Kopf schräg. Sie kannte die Schreine aus Mexiko. Die Leute beteten zu Santa Muerte für kleine Sorgen. Glück in der Liebe, finanzielle Zuwendungen. „Ich dachte, das wäre harmlos.“
    „Ist es auch“, gab Alarcon zu. „Aber bei diesem Altar hat jemand Blut über die Steine geschüttet.“
    „Klingt mir eher nach Voodoo.“
    „Die Statue im Schrein ist Santa Muerte. Gehen Sie hin und schauen Sie es sich an.“
    „Und Mariposa?“
    „Mariposa ist eine Märchenfigur.“ Eine scharfe Falte erschien auf der Stirn des Reverends. „Wie der schwarze Mann oder Graf Dracula.“
    Prüfend sah sie ihn an. „Warum erzählen Sie mir es dann, wenn es esoterischer Hokuspokus ist? Wollen Sie, dass ich das in meinem Artikel schreibe? Soll ich Sie zitieren?“
    „Madonna, nein!“
    „Was dann?“
    Er holte tief Atem und stieß ihn wieder aus, als müsste er Mut sammeln für das, was er zu sagen hatte. „Ma’am, ich bin ein Mann der Kirche. Santa Muerte ist eine heidnische Kultfigur, deren Verehrung die Kirche nicht gutheißt. Trotzdem kann ich die Menschen nicht verurteilen, nur weil sie auf kleine Wunder hoffen und nach jedem Strohhalm greifen, der ihnen eins verheißt. Die Liebe Gottes“, er seufzte, „ist manchmal schwer zu erkennen. Ich verdamme keine junge Frau, die Santa Muerte ein paar Münzen opfert, damit der Kerl, der sie geschwängert hat, bei ihr bleibt und sich um das Kind kümmert. Aber Mariposa ist was anderes. Das ist ein böser Geist, mit dem man Kinder erschreckt.“
    „Ich habe nie von ihr gehört.“
    „Ein lateinamerikanisches Märchen. Und kein sehr bekanntes. Ist also kein Wunder, Ma’am, dass sie noch nie davon gehört haben.“
    Langsam wanderten sie zurück zur Kirchenfront.
    „Mariposa ist die dunkle Schwester von Santa Muerte. Santa Muerte kümmert sich um die Toten. Sie beschwichtigt die Geister und gibt ihnen Frieden, und weil sie zwischen Diesseits und Jenseits wandelt, kann sie in die Zukunft sehen. Das Geheimnis ihrer Güte liegt darin, dass sie alle niederträchtigen Gefühle ihrer Schwester Mariposa aufgebürdet hat. Und Mariposa, die Leichenfledderin, verbirgt sich in ihrem Schatten. Mariposa hat Geschmack am Fleisch der Toten gefunden. So sehr, dass sie manchmal sogar nach dem Blut der Lebenden lechzt. Und Santa Muerte duldet die finstere Schwester, denn sie muss das Opfer respektieren, das Mariposa für sie brachte.“
    „Mariposa, der schwarze Schmetterling. Schaurig.“ Eve schüttelte den Kopf. „Das erzählen mexikanische Mütter ihren Kindern beim Einschlafen? Wenn du nicht artig bist, holt dich Mariposa?“
    Der Reverend lachte ein nervöses kleines Lachen. „Manche Leute glauben an Mariposa. Es gibt Altäre, drüben in Mexiko. Sie opfern ihr kleine Tiere. Hühnerblut.“
    „Und Menschen?“ Eve blieb stehen. „Wollen Sie damit sagen, die Morde haben mit einem Mariposa-Kult zu tun?“
    „Ich sage gar nichts“, erwiderte Alarcon. „Ich wiederhole nur, was die Leute so reden.“

    Der Altar stand am Ende der Gasse, zwischen den Wurzeln einer knorrigen Sykomore. Eve spürte die Blicke der Kinder auf ihrem Rücken, als sie in den Schatten des Baumes trat. Die Jungs hatten Kunststücke mit ihren Fahrrädern geübt, doch seit Eve aus dem Wagen gestiegen war, starrten sie ihr nach. Mit ihren honigblonden Locken fiel sie auf wie ein bunter Hund in dieser Gegend, die fast

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