Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
was es war, bis es mir mit kaltem Schrecken klar wurde... Eine Steinwand!
Ich tastete mich an ihr entlang, während der düstere Verfolger sich weiter näherte. Schweiß stand auf meiner Stirn. Mein Puls raste. Hinter meinen Schläfen pulsierte es mit geradezu unerträglicher Intensität.
Die Todesangst hielt mich in ihrem eisernen Griff. Es gab keinen Fluchtweg, keine Möglichkeit diesem unheimlichen ETWAS zu entkommen, das mir folgte. Ich tastete mich weiter an der kalten Steinwand entlang, fühlte die feinen, moosbewachsenen Fugen zwischen den Steinquadern.
Ein Gebäude, dachte ich.
Dann kam ich an eine Stelle, an der der Schein des fahlen Mondlichts die Mauer beleuchtete. Ein graues, uraltes Gebäude. Vielleicht ein Tempel, den die Zeit vergessen hatte und der im Laufe der Jahrhunderte vom Dschungel mehr oder minder überwuchert worden war.
In die Steine hatte man ein Relief gehauen. Es war sehr fein, sehr detailgetreu...
Ich sah in Stein gehauene menschliche Gesichter, so groß wie Wagenräder.
Eines von ihnen erkannte ich.
Mir stockte der Atem.
"Jim", flüsterte ich.
Ich starrte auf den kalten Stein, trat einige Schritte vor und berührte das Relief ungläubig mit der Hand. Aber das Mondlicht ließ keinen Zweifel daran. Diese Darstellung zeigte die Gesichtszüge von Jim Field!
Etwas berührte meine Schulter. Ich zuckte zusammen, drehte mich ruckartig herum und versuchte mich gegen die Umklammerung zu wehren.
"Patti!"
Ich erstarrte.
Der Schrecken steckte mir in den Knochen, während Toms ruhige, grüne Augen mich musterten.
"Was ist los, Patti?", fragte er mich sanft. Ich schluckte.
"Ich bin wieder hier", murmelte ich, so als müsste ich mich selbst dieser Tatsache erst wieder vergewissern. Tom legte die Arme mich. Ich atmete tief durch.
"Eine Vision?", fragte Tom.
"Ich war so weit weg", murmelte ich. "In einem Dschungel... Ich denke, ich habe einen Ort gesehen, der irgendwo in Thailand oder Kambodscha liegen muss. Dort, wo Jim im Moment ist..."
*
Jim Field ließ die Kamera immer wieder klicken. Die imposanten Tempelanlagen von Angkor Wat boten ein Bild wie aus einer Traumwelt. Jahrhundertelang hatten die gottgleichen Khmer-Könige von hier aus Südostasien beherrscht. Es hatte ihnen nicht gereicht, zu Lebzeiten verherrlicht zu werden. Und so hatten sie ihre Göttlichkeit in Stein meißeln lassen. Die Häuser jener Menschen, die diese weiträumigen, aus dem Dschungel herausragenden Gebäude geschaffen hatten, waren spurlos verschwunden. Das galt selbst für die Paläste der Gottkönige, die wie die Häuser ihrer Untertanen aus Holz errichtet worden waren.
Stein - das war das Baumaterial der Götter.
Ihnen war es vorbehalten.
Und zu wahren Göttern stiegen auch die Khmer-Könige erst nach ihrem Tod auf.
Auf der Höhe seiner Macht hatte König Suriyarvarman II. den Bau von Angkor Wat von vier Seiten gleichzeitig beginnen lassen. Vierzig Jahre später, im Jahre 1150 unserer Zeitrechnung, war es vollendet. Über den eigentlichen Zweck dieses Bauwerks stritten bis heute die Archäologen. Sicher war nur, dass es sich um einen Sakralbau handelte. Der gesamte Komplex war beinahe einen Quadratkilometer groß und wurde von einem Wassergraben umgeben. Etwas weiter nördlich befand sich Angkor Thom, ein noch größerer Komplex. Ich hoffe nur, dass ich genug Filmmaterial mitgenommen habe, dachte Jim, während er die Kamera immer wieder abdrückte. Es war schwer, in Kambodscha Filme zu bekommen. Und wenn es einem gelang, so etwas tatsächlich
aufzutreiben, dann hatten das Material oft seine Lagerzeit hinter sich. Nicht selten genügte es dann nicht einmal mehr den bescheidenen Ansprüchen von Touristen - von denen eines Starfotografen mal ganz abgesehen.
Das Spiel des Sonnenlichtes in den gewaltigen Tempelanlagen war beeindruckend. Jim konnte gar nicht genug davon in den kleinen Kasten bannen, der ihm um den Hals hing.
"Ich würde Ihnen raten, die offiziellen Wege nicht zu verlassen", meinte Srei, der kambodschanische Dolmetscher, den er angeheuert hatte.
Jim atmete tief durch, drehte sich halb herum. Dabei fiel die Ruine jenes Bungalow-Hotels in sein Blickfeld, das die Franzosen einst direkt neben das Angkor Wat bauten. Im Indochina-Krieg, als Frankreich seine Kolonien Kambodscha, Laos und Vietnam endgültig verlor, brannte es nieder. Die Ruinen bildeten einen eigenartigen Kontrast zu den nahen Tempelanlagen, die wie ein Symbol der Zeitlosigkeit wirkten. Weder der wuchernde Dschungel, noch
Weitere Kostenlose Bücher