Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
bildete sich eine jener charakteristischen Beulen in der Oberfläche. Sie trat stärker hervor, als jene, aus der zuletzt der Säurestrahl herausgeplatzt war. Jede Sekunde konnte das auch bei dieser passieren.
Es gab keinen Schutz.
Nicht einmal das Metall, aus dem die Masken der Ordensmitglieder waren, konnte dieser Säure standhalten.
Die einzige Ausnahme war gebrannter Ton, der auf bestimmte Weise behandelt und einigen magischen Ritualen unterworfen worden war - so wie Dietrich von Schlichten es in den Schriften seines Urgroßvaters gelesen hatte.
Von Schlichten hielt den Atem an.
Maraguene schrie wie von Sinnen.
Und dann verstummte sie plötzlich.
Die Beule in der Oberfläche des Schleimwesens bildete sich zurück. Der formlose Körper dieses Organismus bewegte sich.
Von Schlichten brauchte einige Momente um zu begreifen, was geschah.
ES zieht sich zurück!, wurde ihm klar. Das Wesen verschwand nach und nach wieder in dem Tongefäß, aus dem es herausgekrochen war.
Die Geräusche, die das Wesen verursachte waren völlig verebbt.
Sie hat es geschafft!, durchfuhr es von Schlichten erleichtert. Maraguene hatte ES mit ihren mentalen Impulsen dazu veranlasst, wieder in das Tongefäß zurückzukehren.
Es war bis zum Rand gefüllt.
Und das Wachstum war noch nicht abgeschlossen.
Maraguene ächzte. Sie erhob sich nun ebenfalls. Ihr Gesicht war weiß, ihre Haut wirkte wie Pergament. Sie sah aus, als wäre sie um Jahre gealtert. Von Schlichten jagte das Bild, das er sah, einen gehörigen Schrecken ein.
Sie muss sich nahezu verausgabt haben!, dachte er. Das bedeutet, dass sich die Errichtung des Tors etwas verzögern kann...
"Oh, ihr Götter des Alten Volkes!", stieß Maraguene flüsternd hervor. Das leuchtende Blau in ihren Augen war matt. Sie wirkte so alt wie ihre eigene Mutter.
"Ich werde ES an einen anderen Ort bringen", erklärte er.
"Meinst du, dass das jetzt gefahrlos möglich ist?"
"Gefahrlos nicht. Aber es ist möglich", erwiderte Maraguene teilnahmslos. "Wohin bringt du ES?"
"In die Höhle, die unter dieser liegt!"
"In den Bereich der Toten Götter?", fragte Maraguene mit Schaudern in der Stimme.
"So nennt ihr die Überlieferung des Alten Volkes, nicht wahr?"
"Ja." Sie blickte auf, sah ihn einen Augenblick lang nachdenklich an und registrierte dabei, dass nicht nur von Schlichtes Gesicht aus dem unbekannten Metall bestand, aus dem die Masken gefertigt waren - sondern auch seine Hände.
Sein gesamter Körper hatte sich offenbar verwandelt. "Warum bringst du ES in den Bereich der Toten Götter?", fragte sie dann.
Von Schlichten schritt auf das Gefäß zu.
"Es gibt dort einen Zugang zum Meer!", stellte er fest. Und dann dröhnte ein teuflisches Lachen unter der bronzefarbenen Maske hervor, die sich für einen kurzen Moment in das Gesicht eines Wolfs verwandelte.
*
Ich spürte gewaltige Entladungen von mentaler Energie. Alles drehte sich vor meinen Augen und mir war schwindelig. Ich saß an der festlich gedeckten Diner-Tafel und hörte die Stimmen der anderen wie aus weiter Entfernung...
Undeutliche, schlaglichtartige Bilder erschienen vor meinem inneren Auge. Ich sah die Schädelhöhle und etwas Grünes, Formloses, das wie ein überkochender Brei aus einem Tongefäß herausquoll...
Ich sah Maraguenes Gesicht. So leer, so verbraucht...
Dann war es vorbei.
"Was ist los, Patti?", raunte mir Tom zu.
Er kannte mich gut genug, um zu wissen, was los war.
"Ich kann es nicht deuten", flüsterte ich. "Aber gerade eben ist etwas geschehen, dass..." Ich hatte keine Worte für das, was ich wahrgenommen hatte. Und ich fühlte mich in diesem Augenblick wieder an jene Zeiten erinnert, da ich meine übersinnlichen Fähigkeiten mehr als Fluch denn als Begabung empfunden hatte. Es konnte so grausam sein, mit der Kraft des Geistes Raum und Zeit zu überwinden, um dann nur Bruchstücke von Dingen wahrzunehmen, die mit großer Wahrscheinlichkeit das eigene Schicksal bestimmen würden...
Das Gespräch plätscherte dahin.
Ich horchte in mich hinein, versuchte jede Gedankenstimme, jedes Bild, jedes noch so schwache Signal zu empfangen.
Aber es war nichts mehr. Gar nichts.
Ich bemerkte, dass Ashton mich ansah.
Ich erwiderte kurz den nachdenklichen Blick seiner dunklen Augen. Damals schon hatte ich mich gefragt, was wohl hinter ihnen vor sich gehen mochte. Jetzt galt es um so mehr.
Du weißt nichts, Patti, ging es mir durch den Kopf. Es war eine Erkenntnis, die mir nicht gefiel. Ich stand ganz am
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