Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
sehen konnte. Ein Schrecken durchfuhr mich.
Jim Fields Schilderungen nach war Maraguene eine junge Frau, kaum älter als ich. Auf den Fotos, die ich von ihr gesehen hatte, wirkte sie ausgesprochen hübsch.
Doch jene Hand...
Sie war knorrig, die Haut so faltig wie ein übergroßer Handschuh, der Arm kraftlos und dürr...
Wie bei einer alten Frau, durchzuckte es mich.
"Halten Sie mich nicht für unhöflich", sagte Maraguene. "Aber ich möchte Sie auf meinen gegenwärtigen Anblick etwas vorbereiten... Er wird Ihnen nicht gefallen... Aber wem gefällt schon die Tatsache, dass alles im Universum vergänglich ist - eingeschlossen der Kosmos selbst!"
Ich wechselte mit Tom einen Blick.
Irgend etwas Furchtbares war geschehen. Etwas, das so grauenhaft war, dass ich mir keine Vorstellung machte... Ich konnte die Gefahr beinahe körperlich spüren.
Eine jener Ahnungen, die einem den Schlaf rauben konnten.
Was ist es?, schrie es in mir. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich fand keine Antwort darauf. Kein Bild vor meinem inneren Auge, keine tagtraumhafte Vision, kein plötzliches Schlaglicht, das mir einen Hinweis geben konnte...
Meine Gabe schien mich im Stich zu lassen.
Und in Augenblicken wie diesen wurde mir dann immer stets aufs Neue bewusst, wie wenig ich sie nach wie vor zu steuern vermochte.
Maraguene erhob sich aus dem Sessel.
Der flackernde Schein des Kaminfeuers tauchte ihre Züge in ein warmes, schmeichelndes Licht, als sie sich zu uns herumdrehte. Das rotstichige blonde Haar war fast vollständig ergraut. Und ihr Gesicht war das Gesicht einer alten Frau...
Ihr Lächeln war matt. Sie wirkte müde.
"Hat Ihr Kollege Jim Field mich etwas anders geschildert?", fragte sie und verzog dabei den Mund. "Das mag gut sein... Aber Sie werden sehen, morgen geht es mir wieder gut... Morgen...Ihr Götter des Vergessens!" Die letzten Worte waren ein Stoßseufzer. Ich sah, wie sie ihre zitternde Hand in meine Richtung streckte. Ich ergriff sie. Sie fühlte sich eiskalt an, wie...
...eine Totenhand!
Unsere Blicke begegneten sich und sie muss das Entsetzen in meinen Augen gelesen haben.
Ich hatte eigentlich gedacht, etwas von ihrer mentalen Energie zu spüren. Aber das, was ich wahrnahm, war nichts weiter als eine Art schwacher Widerhall.
Maraguene wandte den Kopf und blickte Tom an. "Ich hoffe, Sie kommen nicht auf den Gedanken, mich jetzt fotografieren zu wollen..."
"Ich denke, dafür ist auch morgen noch Zeit", meinte Tom.
Ein Lächeln huschte über Maraguenes Gesicht.
"Professor von Schlichten hat mir viel über Sie beide erzählt", sagte sie dann. "Vor allem, was Sie betrifft, Patricia. Ich darf Sie doch so nennen?"
"Sicher."
"Ich glaube, dass wir uns gut verstehen werden...", murmelte sie sehr nachdenklich.
"Sie haben die Kraft, Kranke zu heilen", stellte Tom indessen fest. "Wie gehen Sie dabei vor?"
"Nicht ich bin es, die heilt. Es ist die Kraft der Götter des Alten Volkes. Sie rufe ich an und ihre Energie durchströmt mich... Aber Sie werden das alles noch erfahren..."
"Vor kurzem war jemand hier, der den Namen Jason Matthews trug", sagte ich. "Erinnern Sie sich an ihn?"
"Es waren viele hier. Warum interessieren Sie sich gerade für Matthews?"
"Er war Engländer und..."
"Sie sprechen von ihm in der Vergangenheit, Patricia?"
"Ja. Er starb unter ungeklärten Umständen an Bord eines Fährschiffs. Scotland Yard untersucht den Fall..."
"Mister Matthews war hier, weil er Hilfe brauchte. Ich sollte ihn von seinen Alpträumen heilen..."
"Hatten Sie Erfolg?"
"Natürlich, Patricia." Sie trat näher an mich heran. Ihre Hände ergriffen die meinen. Ihr Blick fixierte mich und ich sah, wie das Weiße in ihren Augen einen leichten Blauschimmer bekam.
Gleichzeitig fühlte ich eine ganz leichte mentale Berührung. So, als wollte sie mir damit signalisieren, dass sie von meiner Gabe wusste...
Ich schluckte.
"Mr. Matthews hatte ein ähnliches Problem wie Sie, Patricia!", flüsterte Maraguene.
"Was meinen Sie damit?"
"Alpträume seit frühester Jugend. Träume, die den Abgrund von Raum und Zeit überbrücken, die Dinge an weit entfernten Orten oder in der Zukunft zeigen. Oft sind es nur Bruchstücke, die kaum zu deuten sind. Das kann einen Menschen rasend machen. Aber wem sage ich das? Sie wissen das doch nur zu gut!"
Ich schauderte.
Und gleichzeitig fragte ich mich, ob es an Maraguenes übersinnlichen Fähigkeiten lag, dass sie so gut informiert war - oder an jener mächtigen Organisation im
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