Überwachtes Netz
Oktober 2013 fertiggestellt worden.
Die Gedanken sind frei
Anne Roth
Hast du eigentlich irgendwas an deinem Verhalten geändert nach den Snowden-Leaks?
Meine erste Reaktion auf die Frage war anfangs »Nein«. Ich habe vorher schon E-Mails verschlüsselt, benutze Browser-Add-Ons gegen Tracking durch Unternehmen; ich weiß, dass Überwachung stattfindet. Seit Jahren nerve ich meine Umgebung mit Erklärungen, warum ich keine Post von Gmail-Accounts kriegen will: Weil bekannt ist, dass Google seine Services nicht verschenkt, sondern eine Gegenleistung erwartet, nämlich Informationen über die Nutzer/innen, und dazu auch in den Mails nach interessanten Details sucht. Inklusive der Informationen über die, mit denen korrespondiert wird, auch wenn die keine Mail-Accounts bei Gmail haben.
Wenn ich darüber nachdenke, merke ich, dass nicht ganz stimmt, dass sich nichts geändert hat. Ich verschlüssele wieder mehr. Nicht nur E-Mails, in denen Telefonnummern, Adressen oder andere persönliche oder politische Informationen stehen, von denen ich denke, dass sie niemanden etwas angehen, sondern auch E-Mails mit vollkommen banalem Inhalt. Auf mehreren meiner Mailinglisten wurde darum gebeten, dass Mail-Adressen bei den Providern, bei denen durch die Snowden-Leaks bekannt wurde, dass sie Daten an die NSA weitergeben, bitte durch andere ersetzt werden mögen. Gefolgt von der obligatorischen Debatte, welche Anbieter denn besser wären: lokale kommerzielle Anbieter, weil die Daten dann vielleicht nicht durch Unterseekabel sofort bei GCHQ und NSA landen? Lieber keine kommerziellen Anbieter, weil die im Zweifelsfall nicht mitteilen würden, dass eine Strafverfolgungsbehörde vor der Tür stand und wissen wollte, wer wem wann was geschickt hat, oder womöglich dem BND die Daten direkt weiterleiten, genauso wie es in den USA passiert? Nur welche mit Servern in Island? Oder doch in den USA, weil es da keine Vorratsdatenspeicherung gibt? Ein derzeit nicht aufzulösendes Dilemma, weil wir nicht alles wissen und weil es keine gute Alternative gibt.
Natürlich gibt es kein Szenario, das vor allen denkbaren Gefahren schützt; das war schon vor den Leaks klar. Seit wir aber wissen, dass die Realität alle paranoiden Ideen lässig überholt, wissen wir etwas besser, dass wir mit etwas Aufwand zwar manchen Facetten der Überwachung begegnen können. Vor allem aber wissen wir, dass sehr viel mehr überwacht wird, als die es sich die meisten vorher vorstellen wollten.
Wenn Gartenbau verdächtig macht
Zurück zu meinem eigenen Verhalten: Ich merke, dass es einen Unterschied macht, ob ich nur vermute , dass jemand mitliest und nachschaut, für welche Websites ich mich interessiere, oder ob ich weiß , dass das geschieht. Es ist einfacher, die Vermutung zu verdrängen als das Wissen. Auch wenn es kein Mensch ist, der irgendwo sitzt und liest, ist jetzt klar, dass alles gespeichert und automatisiert durch ein Raster gezogen wird. Wie das Raster genau funktioniert, wissen wir nicht, aber dass zumindest Teile unserer Kommunikation betroffen sind, wissen wir schon. Es wird nach Auffälligkeiten gesucht; nach allem, das sich vom normalen Kommunikationsverhalten unterscheidet. Von meinem normalen Kommunikationsverhalten und vom allgemein üblichen Kommunikationsverhalten.
Verschlüsselte E-Mails werden länger aufgehoben, denn die sind verdächtig. Wenn ich mit bestimmten Menschen regelmäßig verschlüsselte E-Mails austausche und zwischendurch ausnahmsweise nicht, ist das möglicherweise auch verdächtig. Zumindest auffällig. Als Methode ist das nicht neu, aber neu ist, dass alle davon betroffen sind. Ich spüre also bei allem, was ich tue, dass mir jemand Unsichtbares über die Schulter sieht und denke darüber nach, ob ich bestimmte Websites wirklich aufrufen sollte. Ich lasse mich letzten Endes nicht davon abhalten, aber der Gedanke taucht manchmal auf. Was sind Auffälligkeiten in meinem Verhalten? Wenn ich plötzlich nach Gartenbau-Geschäften suche, obwohl ich keinen Garten habe und mich noch nie dafür interessiert habe? Oder wenn ich drei Artikel über Brandanschläge auf die Berliner S-Bahn lese und ein paar Tage vergesse, die Tabs im Browser wieder zu schließen? Können die sehen, dass ich meistens mit Google suche, aber manchmal auch nicht? Und was?
An diesem Punkt angekommen denke ich, dass ich damit aufhören sollte, Paranoia zu entwickeln. Ich bin keine muslimische Fundamentalistin und es ist unwahrscheinlich, dass ich
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