Ufer des Verlangens (German Edition)
erfahren?«
Esmeralda seufzte. »Nun, zuerst habe ich in den Herbergen unauffällig nach einer Frau gefragt, auf die Joans Beschreibung passt. Selbst in den heruntergekommensten Pensionen bin ich gewesen, habe mir meinen Weg durch schmutzige Kammern gebahnt und mit jedem gesprochen, den ich angetroffen habe. Doch niemand wusste auch nur die geringste Neuigkeit von Joan.
Schließlich bin ich in die Bordelle gegangen. Es ist bekannt, dass sich die Freudenmädchen gern die Zukunftvoraussagen lassen, denn eine jede von ihnen hofft wohl, dem Leben zu entfliehen, das sie zu führen gezwungen ist. Ich kenne ein paar der Mädchen schon seit Jahren. Die meisten haben Vertrauen zu mir und haben auch mit Auskünften nicht gegeizt.«
»Und? Was habt Ihr von ihnen erfahren?«
»Nun, es gibt da ein Mädchen, auf das Joans Beschreibung passt. Allerdings arbeitet sie nicht als Freudenmädchen, im Gegenteil. Es heißt, sie verstecke sich mit ihrem Liebhaber, bis das nächste Schiff nach Frankreich ausläuft, um ihn dort heiraten zu können. Wie es den Anschein hat, liebt sie den Mann aufrichtig und er sie auch. Die Flucht geschieht wohl nur, weil eine Heirat in Schottland den beiden nicht möglich ist. Aus welchem Grunde aber, das weiß ich nicht.«
»Hmm«, machte Zelda und wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Hat die junge Frau einen Namen? Ist vielleicht bekannt, woher sie stammt? Gibt es etwas über ihren Liebsten zu erfahren?«
Esmeralda schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, mit mehr kann ich Euch nicht dienen. Die Beschreibung, die Ihr mir von Eurer Schwester gegeben habt, trifft auf das Mädchen zu. Ihren Namen kennt allerdings niemand. Zwar nannte der Mann, als er das Zimmer anmietete, das sich über einem Bordell befindet und von demselben Hausbesitzer gehalten wird, einen Namen, doch glaube ich nicht, dass dieser der richtige ist. Das Mädchen allerdings reist nur als seine Begleiterin.«
»Wisst Ihr den Namen des Mannes?«, fragte Zelda ohne viel Hoffnung.
Esmeralda nickte wieder. »Ja. Er nennt sich Brian Laverty. Aber jeder Edinburgher weiß, dass er kein La-verry ist.«
»Brian Laverty?«, fragte Zelda mit großer Verblüffung. »Habt Ihr wirklich Brian Laverty gesagt?«
»Was erscheint Euch daran merkwürdig? Was erschreckt Euch daran so, Zelda? Ihr seid ja ganz blass geworden. Kennt Ihr Brian Laverty?«
Zelda schüttelte den Kopf. »Nein, lediglich den Namen Ian Laverty habe ich schon gehört.«
Esmeralda lachte auf. »Wer kennt Ian Laverty nicht? Sein Name ist in aller Munde.«
»Das scheint mir auch so«, erwiderte Zelda und schüttelte noch einmal, doch jetzt mit aller Entschiedenheit, den Kopf. »Ich weiß nicht genau, was in dieser Stadt vorgeht. Doch in einem bin ich mir ganz sicher: Meine Schwester Joan kann unmöglich mit ihrem Liebsten auf der Flucht nach Frankreich sein, um ihn dort zu heiraten.«
»Warum seid Ihr Euch da so sicher?«, fragte Esmeralda.
»Ich kenne Joan besser als jeder andere Mensch auf dieser Erde. Hätte sie einen Liebsten, so wüsste ich davon. Aber sie hat niemals etwas in dieser Richtung verlauten lassen. Wir wohnen in den Highlands. Wo soll sie in Gottes Namen denn einen Liebsten kennen gelernt haben? Die Fremden, die in den letzten Jahren durch unsere Ländereien gekommen sind, kann ich an zwei Händen abzählen. Nein, nein. Die junge Frau, von der Ihr sprecht, ist ganz gewiss nicht meine Schwester.« Zelda brach ab und scharrte mit der Spitze ihres Schuhs über den Boden.
Sie wirkt ein wenig unsicher, dachte Esmeralda und sagte: »Zelda, man weiß niemals alles über einen anderen Menschen. Jeder von uns trägt Geheimnisse in sich. Überlegt selbst, ob Joan alles von und über Euch weiß.«
Zelda sah erschrocken hoch. Sie wirkte ertappt, eine leichte Röte überzog ihre Wangen. »Joan ist anders als ich. Ihr Leben, ihr Denken und Handeln gleichen einem ruhigen Fluss, während meine Gedanken wie ein Bergbach umherspringen.«
»Es gibt ein Sprichwort, Zelda: Stille Wasser gründen tief.«
»Aber Joan war für ein Leben im Kloster bestimmt. Sie schien sich nicht daran zu stören. Jeder war der Meinung, dass die Weltabgeschiedenheit ihrem Wesen entspricht.«
»Nun, Weltabgeschiedenheit und Abgeschiedenheit von der Liebe sind zwei Paar Schuhe, Zelda. Ich möchte Euch nicht beunruhigen, doch solltet Ihr nicht versäumen, in alle Richtungen zu denken, wenn Ihr Joan finden wollt.«
Zelda sah auf. In Esmeraldas Gesicht waren Verständnis und Freundlichkeit zu
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