Ufer des Verlangens (German Edition)
Ehrgeiz Lord Hallberrys kannte kein Maß und keine Schranken. Es hieß, er ginge über Leichen, wenn seine wirtschaftlichen Interessen auf dem Spiel standen, und Laetitia ließ anklingen, dass seine älteste Tochter eine dieser Leichen war.
Hallberry beabsichtigte, in nächster Zeit zum königlichen Hofreeder der Stuarts zu werden. Aus diesem Grund gab er seine Tochter dem höchsten Hofmarschall zur Frau. Es störte Lord Hallberry wenig, dass dieser fast vierzig Jahre älter war als seine Tochter, dazu kränklich und verbittert.
Auch jetzt saß der Hofmarschall mit Leichenbittermiene am Tisch, hatte die Mundwinkel gekränkt nach unten gezogen und beklagte sich quer über den Tisch über die fetten Speisen, die seinem empfindlichen Magen mit Sicherheit nicht gut bekommen würden.
Hin und wieder warf er seiner Braut, der gerade 20jährigenGwendolin, einen mürrischen Blick zu und schnaubte verächtlich, wenn sie sich seiner Ansicht nach nicht wie eine ernsthafte Braut benahm.
Gwendolin trug ein weißes Kleid mit hoch geschnürtem Mieder, das ihre zarten festen Brüste wie zwei frische Sommeräpfel wirken ließ. Das helle Haar hatte sie mit Bändern in Form gebracht, ihre Wangen glühten im zartesten Rosa, die blauen Augen blickten neugierig und erlebnishungrig in die Welt, und der kleine Mund, der stets bereit zum Lächeln schien, wurde durch ein niedliches Grübchen am Kinn betont. Obwohl Zelda ein wenigjünger als Gwendolin war, fühlte sie sich um vieles älter. Alles an der Hallberry-Erbin erinnerte an ein kleines Mädchen, das viel zu jung schien, um einen Hausstand zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen.
Ein Hund kam herbei, und Gwendolin spielte arglos mit dem Tier, hielt ihm ein Stück Stoff hin, nach dem der Hund schnappte und daran zu Gwendolins großem Vergnügen riss. Sie lachte laut auf, dann warf sie den Stoffstreifen von sich und betrachtete sichtlich amüsiert den kleinen Hund, der hinterherlief, den Stoff zwischen die Zähne nahm und ihn hin und her schüttelte.
Christopher Temple verfolgte das Geschehen mit säuerlichen Blicken. Jedes Mal, wenn Gwendolins helles Lachen erklang, kniff er die Augen zusammen, runzelte die Augenbrauen und zog die Stirn in Falten.
»Ist denn hier niemand, der diesen widerlichen Köter vor die Tür setzt?«, rief er beleidigt und sah sich empört nach den Bediensteten um. »Muss ich selbst den Knüppel holen und das Tier verjagen?«
Mühsam rappelte er sich hoch, um seine Drohung wahr zu machen, doch Gwendolin nahm den kleinen Hund geschwind auf den Arm, drückte ihn an ihreBrust und erwiderte: »Blacky ist kein Köter. Er ist mein Spielgefährte, und ich wünsche nicht, dass er wie ein Hofhund vor die Tür gejagt wird.«
»Ach so?«, grollte Temple und stemmte die mageren Armchen in die Hüften. »Ihr wünscht es nicht? Nun, dann nehmt zur Kenntnis, dass eine erwachsene Frau, die bald in den heiligen Stand der Ehe treten, wird, kein Spielzeug mehr braucht. Ich gebe Euch bis zu unserer Hochzeit die Gelegenheit, den Köter zu verabschieden, denn ansonsten werde ich dafür sorgen, dass er dorthin verwiesen wird, wo er hingehört: zum Abdecker.«
Gwendolins Augen füllten sich mit Tränen. Sie presste das Hündchen noch fester an sich und sah voller Abneigung auf Temple.
Jeder konnte sehen, dass sie, müsste sie sich zwischen ihrem Bräutigam und dem Hund entscheiden, nicht lange überlegen würde, um die richtige Wahl zu treffen.
»Lasst Ihr doch den Hund«, mischte sich nun auch Zelda ein. »Ihr seid ein viel beschäftigter Mann, verbringt den Tag auf dem Castle des Königs. Gönnt Eurer Frau das bisschen Zerstreuung, wenn Ihr abwesend seid, sonst wird sie vor lauter Langeweile noch übellaunig.«
Temple knurrte, doch als er sah, dass die Gäste allesamt verstummt waren und auf seine Antwort warteten, während der kleinen Gwendolin noch immer die Tränen über die Wangen liefen, nickte er schließlich und bemerkte säuerlich: »Weiber sind wie Kinder. Unfähig, sich selbst eine vernünftige Beschäftigung zu suchen, unfähig, selbstständig zu denken und zu handeln.«
Er seufzte und machte eine gönnerhafte Bewegung mit der Hand in Gwendolins Richtung: »Gut, sollt Ihr also den Köter behalten. Doch wehe, er läuft mir einmalüber den Weg und stört mich bei meinem Tagewerk. Richtet ihn ab, oder er ist des Teufels.«
Das Mädchen trocknete die Tränen und sorgte für den Rest des Abends dafür, dass sich der kleine Hund immer in ihrer unmittelbaren Nähe
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