Ufer des Verlangens (German Edition)
Augenbrauen in die Höhe.
»Waldfee, warum in aller Welt möchtest du das so unbedingt wissen? Ich sehe dir an, dass du mehr ahnst, vermutest, vielleicht sogar weißt, als du sagen willst. Warum ist es so wichtig für dich zu wissen, was ich in deiner Heimat getan habe?«
Wieder umfasste er Zeldas Gesicht mit den Händen, als wollte er ihr damit eine Höhle bauen, in der sie Schutz suchen konnte. Wovor Schutz? Vor dem Widerstreit der Gefühle in ihr? Vor sich selbst gar?
»In meine Heimat kommen nicht viele Fremde«, erklärte Zelda vage. »Und diejenigen, die in redlicher Absicht kommen, kennt man in den Manors. Sie werden vorgestellt, ihre Geschäfte werden offen besprochen. Ihr aber seid heimlich gekommen. Niemand hat Euch gesehen, mit keinem habt Ihr Geschäfte gemacht.«
Sie sah ihm tief in die Augen, als wollte sie darin die Wahrheit lesen, und fügte hinzu: »Ihr habt Eure Redlichkeit nicht unter Beweis gestellt. Im Gegenteil: Was immer Ihr dort getan habt, scheut das Licht der Öffentlichkeit.«
Ian schaute verwundert drein. »Denkst du so, Waldfee? Ist das wirklich deine Meinung? Du sorgst dich um meine Redlichkeit? Befürchtest gar, ich hätte Übles getan in den Highlands?«
Sein Blick suchte den ihren. Zelda schlug die Augen nieder. Plötzlich schämte sie sich, Ian der Unredlichkeit bezichtigt zu haben. Doch der Mann griff unter ihr Kinn, hob es an, sodass sie gar nicht anders konnte, als in seine Augen zu sehen.
Was sie darin las, verwirrte sie noch mehr. Traurigkeit stand darin, eine leise Enttäuschung, Wehmut und – Liebe. Eine ehrliche, tiefe Liebe, die im Grunde zu groß war für einen einzelnen Menschen. So groß, als dass er gar nicht anders konnte, als diese Liebe mit einem anderen zu teilen.
Ian hatte geglaubt, gehofft, gewünscht, diese Liebe mit Zelda teilen zu können. Doch nun unterstellte sie ihm, Böses getan zu haben. Er war verletzt, doch gleichzeitig verstand er seine Waldfee.
»Du bist so rein und klar«, sagte er. »Und ich wette, du hast in deinem ganzen Leben noch nie auch nur einer Fliege etwas zu Leide getan. Doch das ist nicht allein nur dein Verdienst. Eine Menge Glück ist dabei. Es ist leicht, von Redlichkeit zu sprechen und sie einzuklagen, wenn immer offensichtlich und eindeutig ist, was gut ist und was böse. Doch so einfach macht es uns das Leben nicht, Waldfee. Zuweilen gerät man in Situationen, in denen man jemanden verletzen muss, um einen anderen vor noch größeren Verletzungen zu schützen. Manchmal geht es nicht anders, als sich zwischen zwei Übeln zu entscheiden. Glücklich derjenige, der niemals in eine solche Lage kommt.«
Zelda war bestürzt. Seine Worte hatten sie getroffen, auch wenn sie nicht genau verstand, was er damit meinte, welchen Zusammenhang sie mit Joan haben könnten.
»Dann sag mir doch, was du in meiner Heimat getan hast, welchen Geschäften du dort nachgegangen bist. Hast du mit den Kingsleys um den See verhandelt? Ging es um die Fang- und Fischrechte? Wie kannst du erwarten, dass ich dir vertraue, wenn du mir etwas verheimlichst? Ich kenne dich so gut wie überhaupt nicht, Ian Laverty.«
Zelda hatte nicht bemerkt, dass sie Ian plötzlich duzte, als wären sie miteinander verwandt oder einander seit Jahren vertraut. Doch der Mann bemerkte alles an Zelda. Keine noch so geringe Veränderung im Ausdruck ihres Gesichts, im Klang ihrer Stimme oder in der Haltung ihres Körpers übersah er.
Jetzt schüttelte er den Kopf. »Auch du verschweigst mir etwas, Waldfee.«
Zelda schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nichts, das unentdeckt bleiben muss.«
»Warum bist du nach Edinburgh gekommen? Was tust du bei deiner Tante? Und warum fragst du nach meinem Aufenthalt in den Highlands? Warum verrätst du mir deinen Namen nicht? Welches Geheimnis verbirgst du vor mir? Nennst du das Redlichkeit?«
Zelda schluckte. Zu gern hätte sie Ian alles erzählt, hätte sich ihm vorbehaltlos anvertraut, doch die Angst um Joan, ihre Verantwortung der kleinen Schwester gegenüber und, wenn sie ganz ehrlich war, der Glaube, eine Mitschuld an Joans Verschwinden zu haben, weil sie den Entführer kannte, der die Mantelschließe mit den Initialen I und L in Joans Gemach verloren hatte, und trotz allem das Unglück nicht verhindern konnte, versiegelten ihre Lippen.
»Ich muss gehen«, sagte sie leise und wollte sich losmachen. Doch Ian hielt sie fest, legte seine Lippen samtweich auf ihre. Sein Kuss war nicht mehr als die Berührung eines
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