Ufer des Verlangens (German Edition)
drehte sich um und ging zu den Klippen, die sich nahe der Küste entlangzogen.
Zelda sah ihm nach, sah ihn zwischen den mächtigen Steinen verschwinden.
Sie wusste, dass er von dort jedes Wort hören und alles sehen konnte. Sie war froh darum, und gleichzeitig bedauerte sie, dass ihr damit die Möglichkeit genommen war, das Schlimmste zu verhindern.
Ab jetzt hatte sie keinerlei Einfluss mehr auf das, was kam. Das Schicksal nahm seinen Lauf.
Ich muss an Joan denken, dachte Zelda. Ich muss ganz fest an sie denken.
Für einen winzigen Moment stellte sich Zelda die Frage, ob es wirklich und wahrhaftig stimmte, dass Joan nach Hause in die Highlands gehörte. Welche Zukunft wartete dort auf sie? Ihr Vater, der alte Lord McLain, würde sie ins Kloster schicken. Und sie würde den Rest ihres Lebens hinter dicken, kalten und dunklen Klostermauern verbringen müssen.
Dann schüttelte Zelda diesen Gedanken ab. Wenn es einen Mann gibt, den sie liebt, so werde ich an ihrer Stelle ins Kloster gehen, schwor sie sich noch einmal. Aber sie glaubte noch immer nicht daran, hoffte, dass der Abend klüger als der Morgen sein würde, dass sich alles zum Guten wenden würde.
Sie sah auf das Meer, das still und friedlich vor ihr lag. Verlockend still. Zelda sehnte sich nach Frieden und nach Stille.
Ich könnte ins Wasser gehen, dachte sie, wenn Ian Laverty stirbt. Für alle wäre es dann leichter. Joan müsste nicht ins Kloster gehen, ich hätte meine Pflicht ihr gegenüber eingelöst und meine Schuld an lans Tod durch den eigenen Tod abgetragen. Ich müsste nicht leiden seinetwegen, nicht trauern um ihn.
Die Qualen in der Hölle, die jeder erdulden musste, der von eigener Hand in den Tod gegangen war, schienen ihr im Vergleich zu den Qualen, die sie um den toten Liebsten leiden müsste, noch erträglich.
Zelda seufzte. Ihr Herz war schwer und schmerzte. Sie fühlte sich außer Stande, irgendetwas zu tun. Erstarrt zu kaltem Stein fühlte sie sich, ihr Herz von einer Schicht aus Eis überzogen.
Sie starrte auf die stille Oberfläche des Meeres, die im Licht der untergehenden Sonne rot wie Blut war.
Ein großer Vogel flog über sie hinweg. Ein Adler vielleicht. Im letzten Schein der Sonne warf er einen Schatten auf den Strand. Der Schatten sah aus wie ein Kreuz.
Zelda erschauerte. Sie hielt diesen Schatten für ein Zeichen, das Kreuz als Ankündigung eines Todes.
Sie beugte sich nach vorn, wühlte mit ihren Fingern zwischen kleinen Steinen und Muscheln herum. Sie suchte nach Halt, doch sie fand keinen.
Ihr Seufzen drang bis zu Allistair, der sich in den Klippen verbarg. Das Herz zog sich vor Mitgefühl mit Zelda zusammen, doch er wusste, dass er ihr diese Qualen bereiten musste. Es gab keine andere Möglichkeit.
Eher als Zelda sah Allistair Ian Laverty vom Hafen herunter auf den Strand kommen. Langsam ging er, ganz versunken in den Anblick der Frau auf dem Stein.
Wie ein Engel kam sie ihm vor. Ein Racheengel mit einem Feuerkranz aus roten Haaren. j
Er blieb stehen, betrachtete sie einen Augenblick lang, dann lächelte er, trat langsam näher.
»Guten Abend, Waldfee«, sagte er.
Zelda erschrak. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie lans Nahen nicht bemerkt hatte. Sie fuhr herum, sah ihm direkt in die hellen, klaren Augen,sah seine Blicke, die über ihr Gesicht fuhren und sie zu streicheln schienen.
Sie fuhr hoch, flog beinahe in seine Arme und presste sich fest an ihn. »Ich liebe dich«, sagte sie. »Oh, Ian, ich liebe dich so.«
Die Worte waren wie von selbst in ihren Mund geraten. Sie drängte sich an ihn, hielt ihn mit ihren Armen umschlungen, als wollte sie seinen Körper mit ihrem Leib schützen.
»Ich liebe dich«, flüstere sie. »Aber ich liebe auch Joan. Sie ist meine Schwester. Verzeih mir, Ian.«
Er hatte die Worte kaum verstanden, griff mit der Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.
»Was hast du da gesagt, Waldfee? Wiederhole deine Worte, ich bitte dich.«
Zelda sah ihm in die Augen, die so klar, offen und ohne Falsch in ihr Gesicht blickten, dass ihr Herz sich zusammenzog.
»Ich liebe dich«, wiederholte sie. »Ich liebe dich mehr, als ich sagen kann. Aber Joan, das Mädchen, welches du aus den Highlands geraubt hast, ist meine Schwester. Sag mir, wo sie ist, was mit ihr geschehen soll, wer der Mann ist, dem du sie verkauft hast. Sag es mir, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Ian schüttelte voller Verwunderung den Kopf. »Joan ist deine Schwester? Und du glaubst, ich hätte sie
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