Ufer des Verlangens (German Edition)
Fremde in diesem Moment. Die Bewunderung, die aus seinen Blicken sprach, zeigte Zelda, dass er nicht log.
Ganz sanft strich er ihr über die Wange, fuhr mit dem Finger die Linie ihrer Augenbrauen nach und strich ihr eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Und Zelda ließ es geschehen, ja, sie schmiegte ihr Gesicht sogar indiese streichelnde Hand ud rieb sich daran wie ein junges Kätzchen.
Sein Gesicht näherte sich dem ihren. Ihre Blicke trafen sich, versanken ineinander. Zelda fühlte sich wie in einem Strudel. Sie hielt sich fest an diesem graublauen Blick, während sein Gesicht noch näher kam. Als seine warmen, weichen Lippen sich schmetterlingsleicht auf ihre legten, schloss sie die Augen.
Beinahe wie von selbst öffneten sich ihre Lippen und gewährten dem Fremden Einlass. Sie ließ ihn ihren Atem trinken, sie schmecken. Sein Kuss fuhr ihr wie ein warmer Strahl durch den Körper und ließ sie eine unbekannte Hitze spüren.
Es fiel ihr schwer, sich von diesen Lippen zu lösen, wieder die Luft des Waldes zu atmen. Langsam, als tauchte sie aus einer anderen Welt auf, öffnete sie die Augen und sah den Fremden an.
»Wer bist du?«, fragte sie. »Warum bist du hierher gekommen?«
Der Fremde lachte leise. »Um dich zu finden«, erwiderte er. »Ich habe das Gefühl, dich zeit meines Lebens zu kennen. Ich habe dich gesucht. Und jetzt habe ich dich gefunden.«
»Aber du hast mich doch noch nie gesehen«, widersprach Zelda.
»Doch. In meinen Träumen.«
Als die Kirchenglocken erneut die Stille des Waldes durchbrachen, stieß Zelda den Fremden beinahe von sich. Sie musste nach Hause, jetzt gleich. Dort wartete ihr Vater, um ihr mitzuteilen, was die Kingsleys zu dem Friedensangebot gesagt hatten. Sie würde bald verheiratet sein. Verheiratet mit Allistair Kingsley.
Ein Seufzen drang aus ihrer Brust, als sie daran dachte.
»Ich muss los«, sagte sie, fuhr sich mit der Hand durch die roten Locken und schwang sich, ohne den Fremden noch einmal anzusehen, aufs Pferd.
»Wann sehe ich dich wieder?«, fragte der Fremde und strich der Stute mit einer Zartheit über den Hals, die Zelda galt.
»Wir werden uns niemals wiedersehen«, sagte sie.
»Ich bin sicher, wir sehen uns wieder. Sehr bald schon«, antwortete der Fremde.
Da gab Zelda ihrer Stute die Sporen und sprengte davon.
3. Kapitel
Völlig erhitzt erreichte sie das Gutshaus. Ihr Gesicht glühte, die Augen blitzten, doch es war nicht allein der schnelle Ritt, der ihr die Röte in die Wangen getrieben hatte.
Zelda war verwirrt. Das Erlebnis im Wald hatte sie aus der Bahn geworfen. Etwas war in ihr Leben getreten, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Etwas war geschehen und bewirkte, dass sie nun alles mit anderen Augen sah.
Sie lehnte ihr Gesicht für einen Augenblick an den warmen Hals ihrer Stute, schloss die Augen und hörte’ auf das wilde Pochen ihres Herzens. Sie war glücklich. Glücklich auf eine stille, sanfte Art, die ein leises Lächeln in ihr Gesicht zauberte. Und zugleich war sie unglücklich. Etwas in ihrer Brust schmerzte, sie schmeckte den schalen Geschmack des Verlusts auf den Lippen. Eine stille, entsagende Traurigkeit blühte neben dem Glück in ihrem Herzen, trübte den wundervollen Sonnentag, trübte die Freude über den bald schon beendeten Krieg.
Lange hatte Zelda auf ein solches Glück gewartet, hatte davon geträumt, sich einem Mann zu schenken, ihr Leben mit seinem zu verbinden. Immer hatte sie nach dem Glück gesucht, das sich ihr als Liebe zeigte.
Nun kam dieses Glück zu einem Zeitpunkt, der nicht nur ungünstig, sondern sogar fatal war. Sie wollte sich nicht verlieben, sie konnte und durfte sich nicht verlieben. Ihre Zukunft war vorbestimmt und jeder weitere Gedanke an den Fremden im Wald, an seinen zärtlichen und zugleich brennenden Kuss, war überflüssig und dumm, weil er zu nichts als Wehmut und leisem Schmerz führte.
Zelda seufzte, und dieser Seufzer kam aus der Tiefe ihres Herzens.
Gleichzeitig hörte sie die Stimmen, die aus der offenen Tür des Gutshauses bis an ihr Ohr drangen. Es waren die Stimmen ihres Vaters, des Verwalters und zwei weitere Männerstimmen, in denen sie die Kingsleys erkannte. Sie würde hineingehen und ihrem zukünftigen Mann gegenübertreten. Sie würde ihn anlächeln und ihm schon sehr bald vor Gott und den Menschen die Treue schwören. Nein, sie musste sich jeden Gedanken an den Fremden im Wald verbieten, musste seinen Kuss vergessen und durfte auch nicht mehr an die Vertrautheit, die
Weitere Kostenlose Bücher