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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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nicht mehr weiß.«
    »Die haben Ihnen nämlich ein falsches Teil montiert«, erklärte Orrie. »Es ist die Stoßstange für einen anderen Typ. Die hier sitzt nicht richtig.«
    In einer Geste der Hilflosigkeit hob Dannecker beide Hände und ließ sie wieder fallen.
    »Wir müssen Ihren Wagen sicherstellen«, sagte Heilbronner, »da weitere Untersuchungen notwendig sind. Außerdem würden wir gerne Ihre Aussage aufnehmen, falls Sie sich zu einer in der Lage sehen. Oder sollen wir einen Arzt zuziehen, der klären soll, ob Sie vernehmungsfähig sind?«
     
    I n der Abteilung für Gemüse und Obst hatte sich Puck ein knappes Kilo Mandarinen abgewogen und einen Broccoli, den Janina deswegen gerne aß, weil sie statt Broccoli Krokodil dazu sagen und dann selber darüber lachen konnte. Puck schob den Einkaufswagen weiter zu dem Stand mit Textilien, wo es einen Sonderposten Kinderstrumpfhosen gab, aber auf dem Weg dahin wäre sie beinahe mit einem anderen Einkaufswagen zusammengestoßen. Dieser andere Wagen war voll geladen mit zwei Kästen Bier, die auf die untere Transportfläche gestapelt waren, und mit Konserven, abgepacktem Speck und vier oder fünf Flaschen Schnaps und Wodka im oberen Einkaufskorb.
    Warum können Sie nicht aufpassen, wollte Puck ärgerlich fragen und ließ es dann bleiben, weil der fremde Einkaufswagen von einer gebückten, grauhaarigen und schwarz gekleideten Frau geschoben wurde, der Mamutschka Neumeister, wie sie in der Siedlung genannt wurde. Seit sie sich kannten, war die Mamutschka immer ganz närrisch mit Janina gewesen, hatte ihr Spielzeug angeschleppt und Schokolade.
    »Ihr Sohn ist wieder da?«, fragte Puck, ohne groß auf die Wodkaflaschen zu schauen.
    »Oh nein! Wo denkst du hin«, schrie die Mamutschka, »immer nur auf Arbeit, immer nur Montage! Heute hier und morgen dort, aber er ist ein lieber Sohn und ruft immer an, das glaubst du nicht, wie er sich kümmert und sorgt... die, wo ihn einmal kriegt, die hat ihr Glück gemacht, das sag ich dir, nur wie soll er eine Frau finden, wenn er immer nur auf Montage ist... aber wart doch draußen auf mich, ich muss dem Schätzchen noch was mitgeben, das darfst du mir nicht abschlagen.«
    Und sie wuselte weiter, eine kleine krumme Alte, den voll bepackten Einkaufswagen vor sich her stoßend.
    Puck fand einen Dreierpack Kinderstrumpfhosen zu 3.95, nahm noch zwei Tüten Milch mit und eine Packung tiefgefrorener Hühnchenschlegel und hatte, als sie an der Kasse zahlte, doch mehr ausgegeben, als sie es sich vorgenommen hatte. Sie war gerade dabei, Milch und Tüten und Strumpfhosen in ihrer Einkaufstasche zu verstauen, als plötzlich die alte Neumeister neben ihr auftauchte und ihr zwei Tafeln Schokolade in die Tasche stopfte.
    »Nicht schimpfen«, sagte die Alte, »denk doch, wie traurig das Schätzchen ist, wenn du heimkommst und sie fragt, hat die Mamutschka nichts für mich mitgegeben, und du hast rein gar nichts... und das willst du doch nicht, dass das Schätzchen traurig ist, nicht wahr? Das kannst du gar nicht wollen...«
    Und ehe Puck auch nur etwas sagen konnte, war die Alte schon wieder verschwunden, irgendwo hinter den Autos, die auf den Parkplätzen des Einkaufszentrums herumstanden.
    Ein komischer Gedanke schoss Puck durch den Kopf, eigentlich war es kein Gedanke, sondern eine Frage, eine komische, aber dann packte sie doch lieber ihre Einkaufstasche voll und machte sich auf den Weg. Es wehte ein kühler Wind, und fröstelnd dachte sie daran, dass sie eigentlich irgendwann im November mit Janina nach Gran Canaria hatte fliegen wollen, aber der Halsabschneider in dem Café, in dem sie um die dreißig Stunden in der Woche arbeitete, hatte bereits angekündigt, dass es dieses Jahr kein Weihnachtsgeld geben werde. Sie ging die Fußgängerstraßezur Siedlung hoch, ein Wagen fuhr hinter ihr her, sie trat zur Seite, um ihn vorbei zu lassen, aber der Wagen hielt auf ihrer Höhe, und der Fahrer ließ die Seitenscheibe herunter.
    Irgendeine Anmache. Zu blöd.
    »Hey«, rief der Fahrer, »willst du nicht einsteigen?« Dabei war es gar kein Fahrer, sondern es war Luzie. Die Assistentin der Geschäftsführung. Leck mich, dachte Puck, dann aber zog sie doch die Wagentür auf und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und nahm ihre Einkaufstasche auf den Schoß.
    »Wo wohnst du noch mal?«
    Puck sagte es ihr, und der Wagen rollte an.
    »Was tust du hier? Sag jetzt bitte nicht, dass man schon wieder eine vertrocknete Leiche gefunden hat.«
    Luzie

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