Uferwald
diesen Personenkreis ergibt«, versuchte Markert zu erklären. Er war sonst ein gelassener Mann, aber jetzt hatte er begonnen, seine Worte mit den Händen zu unterstreichen, und sein Gesicht hatte sich gerötet.
»Da müssen wir doch nicht lange suchen«, meinte Armbruster vom Dezernat Wirtschaftskriminalität. »Einen solchen Schwerpunkt haben wir doch auch, im Buchenbronn, oder irre ich mich da?«
»Nein«, gab Markert zögernd zu, »aber wir können schlecht auf einen allgemeinen Verdacht hin von Haus zu Haus gehen.«
»Das werden wir um Gottes willen nicht tun!«, entfuhr es Englin, und sein Augenlid zuckte schwach. »Im Übrigen würde es mich wundern, wenn die Täter hier aus Ulm wären, das Risiko,erkannt zu werden, hätte ihnen doch viel zu hoch erscheinen müssen.«
»Sicher«, meinte Markert, »aber vielleicht sind sie auch besonders kaltblütig und haben gerade deshalb hier zugeschlagen. Weil sie nämlich denken, dass wir dann denken, sie könnten nicht von hier sein.«
Tamar unterdrückte ein Gähnen. Was treiben wir hier? Ein Indianerspiel unter Fünfzehnjährigen, die in die Jahre gekommen sind. Plötzlich schrak sie hoch. Englin hatte sie angesprochen.
Sie war dran.
Möglichst knapp und ohne Umschweife schilderte sie, was sie im Fall Gossler erreicht und herausgefunden hatte. Das war gar nicht so einfach. Wenn eine etwas erreicht und etwas herausgefunden hat, dann ist es keine Kunst, das mit knappen Worten mitzuteilen. Aber wenn eine nichts erreicht und so gut wie gar nichts herausgefunden hat?
»Wir haben also nichts in der Hand«, fasste Englin ihren Bericht zusammen. »Wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt ein Fall ist.«
»Es ist ja nicht mein Beritt«, warf Armbruster ein, »aber solange mir der Herr Dannecker nicht sagen kann, wofür er damals die Vierzigtausend gebraucht hat, solange gibt es für mich auch einen Fall Gossler.«
Zwanzig Minuten später verließ Tamar den Neuen Bau und ging am Stadthaus vorbei über den Wochenmarkt auf dem Münsterplatz. Es war kühl und windig, aber wenigstens regnete es nicht. Sie wollte einen Teller Pasta essen, danach würde sie sehen, wie es am Nachmittag weiterging.
Englin hatte sich mit Armbrusters Einwand zufrieden gegeben, das heißt, nicht eigentlich zufrieden, es gab überhaupt nichts, womit er hätte zufrieden sein können, aber diese stille leise Resignation, die seit einiger Zeit von dem Kriminalrat Besitz ergriffen hatte, begann allmählich jedes Lidzucken und alle Konvulsionen zu ersticken.
Wie immer an den Markttagen kam Tamar beim Übergangzum Nördlichen Münsterplatz am Stand des Obst- und Gemüsebauern Rotter vorbei, den man sonst oft schon von weitem hörte. Diesmal warteten nur zwei Frauen vor dem Stand, und bedient wurden sie auch nicht von Rotter, sondern von einem jungen, derben, rotgesichtigen Mann.
Der Sohn? Tamar glaubte sich zu erinnern, dass Tilman einmal einen Zusammenstoß mit einem jungen Landwirt aus Rotters Umgebung gehabt hatte, nicht auch das noch nachprüfen! Sie blieb stehen, in einer der Auslagen lockten Walnüsse, eigentlich könnte sie ein Kilo mitnehmen oder ein Pfund, je nachdem, wie viel es kostete.
»Nein«, hörte sie den Rotgesichtigen reden, während er zwei Salatköpfe in Papier einschlug, »der Vater kann nicht mehr kommen, er hat einen Schlag gehabt und sitzt jetzt im Rollstuhl, da kommt er nicht mehr raus, hat der Doktor gesagt, es ist der Hass, wissen Sie, der hat ihn dahin gebracht, immer diese Briefe, diese Verleumdungen, die Andeutungen, es hat kein Ende genommen, was glauben Sie, wie das einen trifft, in einem Betrieb, in dem man jeden braucht, der zwei Hände hat.«
Tamar hatte keine Lust mehr zu warten und ging weiter.
S chau dir das mal an«, sagte Orrie und richtete sich wieder auf. Gehorsam bückte sich Heilbronner und betrachtete den kleinen Spalt, der zwischen dem seitlichen Abschluss der Stoßstange und dem Karosserieblech freilich nur dann sichtbar war, wenn man genau hinsah.
Heilbronner fuhr prüfend mit dem Zeigefinger den Spalt entlang. »Sie haben die Stoßstange mal auswechseln müssen?«, hörte er Orrie fragen.
»Das kann ich Ihnen jetzt gar nicht so genau sagen«, kam Danneckers Antwort. »Ich hab den Wagen ja schon bald zehn Jahre, das ist praktisch schon ein Oldtimer, auch wenn Sie es ihm nicht ansehen.«
Heilbronner hatte sich wieder aufgerichtet. »Wo haben Siedas denn richten lassen? Doch nicht in einer Vertragswerkstatt?«
»Ich sagte doch, dass ich das
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