Uferwald
habe. Wenn Sie so wollen, hat sie Anschluss gesucht, weil ihrem Mann plötzlich eingefallen ist, er müsse Silvester bei seiner alten Mutter verbringen, irgend so etwas muss er ihr vorgelogen haben. Sie hat es ihm auch gar nicht erst geglaubt, aber was sollte sie tun? Sie hat versucht, ganz kühl und gelassen zu bleiben, aber leider gehört sie zu den Frauen, die das Alleinsein nicht gelernt haben. Wir haben uns dann noch eine Zeitlang geschrieben, aber dann ist auch das wieder eingeschlafen.«
A uf der Rückfahrt hatte Luzie kurz angehalten, um Sascha anzurufen und zu sagen, dass sie vermutlich später käme, weil sie noch einen Bericht fertig stellen wolle. Allerdings hatte sie das nur seinem Anrufbeantworter sagen können. Dann war sie weitergefahren, den Kopf voller Gedanken, denn mit ihrer Bestandsaufnahme dessen, was sie in der Siedlung an Beschwerden notiert hatte, würde sie dem Geschäftsführer keine große Freude bereiten können.
Es war Nachmittag, der Personalparkplatz schien voll belegt, das konnte aber kein Problem sein, denn sie hatte – wie die anderen Angehörigen der Geschäftsführung auch – einen eigenen Stellplatz. Sie bog in die Gasse ein, die zu diesen Plätzen führte, und musste plötzlich anhalten. Ihr Stellplatz war mit einem Sperrgitter zur Fahrgasse hin blockiert, dahinter standen Farbeimer und eine Trittleiter. Ein Maler war nirgends zu sehen.
Ärgerlich fuhr sie weiter. Schließlich parkte sie ihren Wagen halb auf dem Gehweg, der zum Verwaltungsgebäude führte. Mit dem Lift fuhr sie nach oben, noch immer ärgerlich und doch schon wieder in Gedanken an ihrem Bericht. Sie öffnete die Tür zu ihrem Büro und prallte zurück. Sie musste sich vertan haben. Dies war ein Zimmer, das offenbar renoviert werden sollte, der Schreibtisch mit einer Plane zugedeckt, Sitzmöbel und Zimmerpflanzen ausgeräumt.
Wessen Büro war das? Sie warf einen Blick auf das Namensschild neben der Tür, es war das Zimmer 5a27, aber es stand kein Name daran, das war merkwürdig, denn das Zimmer 5a27 war das ihre.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte, ohne anzuklopfen, in das Zimmer der Direktionssekretärin Köhl-Kunzmann, die gerade – die Kopfhörer übergestülpt – einen Brief oder eine Aktennotiz schrieb.
»Was ist mit meinem Zimmer passiert? Und was mit meinem Stellplatz, und wer hat das angeordnet?«
Keine Reaktion. Die Köhl-Kunzmann schrieb weiter. Luzie beugte sich über ihren Schreibtisch und sah ihr ins Gesicht. DieKöhl-Kunzmann hatte Tränensäcke und war zu stark geschminkt.
»Was ist mit meinem Zimmer passiert?«
Die Köhl-Kunzmann hörte auf zu schreiben und sah sie an. »Der Herr Geschäftsführer will Sie schon den ganzen Tag sprechen.«
»Sie wissen ganz genau, wo ich war. Ich habe es Ihnen gesagt.« Luzie richtete sich auf und wandte sich zur Tür des Geschäftsführers.
»Jetzt nicht«, sagte die Sekretärin. »Er hat eine Besprechung.«
Luzie blieb stehen. Schließlich sah sie sich um, ging zu dem zweiten, im Augenblick leeren Arbeitsplatz des Sekretariats, setzte sich, zog dem Computer die Schutzhaube herunter und schaltete ihn ein.
»Was tun Sie da?«, fragte die Köhl-Kunzmann, und ihre Stimme wurde schrill.
Luzie antwortete nicht. Auf dem Computer baute sich das Bildschirmportal auf, und sie gab ihr persönliches Kennwort ein. Der Computer akzeptierte. Wenigstens das, dachte Luzie.
»Sie dürfen das nicht«, sagte die Köhl-Kunzmann. Luzie drehte sich um und lächelte sie an. Dann wandte sie sich wieder dem Bildschirm zu, rief die Vorlage für ihre Aktennotizen auf und begann zu schreiben:
Bei einer Überprüfung der Sozialräume in der Siedlung Buchenbronn haben sich Hinweise auf gravierende technische Mängel und eine beginnende Verwahrlosung ergeben, die sofortige...
D ie Kommissarin Tamar Wegenast kehrte in ihr Büro zurück. Als sie die Tür öffnete, sah sie, wie Dannecker sich im Besucherstuhl hastig aufrichtete, als versuche er, Haltung zurückzugewinnen.
»Sie hatten mir vorhin etwas zu trinken angeboten«, sagte er.
Tamar holte eine Tasse, schenkte ihm Tee ein und schob ihm die Zuckerdose zu.
Er nahm drei Stück Zucker und rührte lange in seiner Tasse. Tamar wartete.
Schließlich blickte er auf.
»Hatten Sie ein hilfreiches Gespräch?«
»Ja.«
Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht.
»Freut mich für Sie.«
»Wo haben Sie den Jahreswechsel 1998/99 verbracht?« »Das weiß ich doch heute nicht mehr.«
»Ihre Frau
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