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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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hatte bei der Zentrale ein Ferngespräch nach Hannover angemeldet. Wie immer dauerte es viel zu lange, bis die Verbindung zu Stande kam. Am Apparat war eine Frau mit jenem indignierten norddeutschen Tonfall, der sich nach Kuttlers Eindruck immer dann zu verstärken schien, wenn der norddeutsche Gesprächspartner es mit einem für ihn erkennbar süddeutschen zu tun hatte.
    »Nein«, sagte die Stimme, »Herr Professor Gossler ist für Sie nicht zu sprechen, nicht am Telefon, er hört sehr schlecht, worum geht es denn?«
    Kuttler erklärte es.
    »Das ist natürlich sehr traurig«, kam es aus dem Hörer, »aber ich kann meinen Mann damit nicht belasten, ausgeschlossen, er ist zuckerkrank und emotional nicht der stabilste. Schon dieser bedauerliche Unfall, das ist ja nun auch schon Jahre her, hat ihn äußerst angegriffen... Und es liegt ja unsererseits überhaupt keine Verpflichtung vor, diese Ehe ist bereits vor dreißig Jahren geschieden worden und war ja überhaupt nur ein sehr kurzes... wie soll ich sagen, ein Zwischenspiel, nicht wahr? Natürlich ist das alles sehr traurig, ich werde sehen, wie ich ihm das Ganze schonend...«
    Das sei richtig, sagte Kuttler, es bestehe keine Verpflichtung. Er dankte für das Gespräch und legte auf. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, Kriminalkommissarin Tamar Wegenast kam in das gemeinsame Dienstzimmer und schloss die Türewieder hinter sich, leise, aber mit der Bestimmtheit, die darauf hindeutete, dass die Kleine Lage – die Dienstbesprechung bei Kriminalrat Englin – eher unerfreulich verlaufen war. Aber wann tat sie das nicht?
    »Ärger?«
    »Nicht mehr als sonst. Das Lauern der Paviane, wer in der Horde den nächsten Fehler macht.« Sie legte die Klarsichtmappe, mit der sie aus der Besprechung gekommen war, auf ihren Schreibtisch. »Was macht deine Leiche?«
    »Praktisch abgeschlossen.« Kuttler wandte sich wieder dem PC zu. »Sie starb, weil sie nicht weiterleben wollte. Sagt Kovacz, der dich übrigens grüßen lässt und fragt, wann ihr mal wieder einen Kaffee zusammen trinkt.«
    »Was ist mit den Angehörigen?«
    »Keine.« Kuttler zuckte mit den Schultern. »Sie hatte einen Sohn, aber der ist vor sieben Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. In der Neujahrsnacht 1999, er war mit dem Rad auf der Uferstraße nach Thalfingen unterwegs. Irgendein Betrunkener hat ihn mit dem Daimler von der Straße gefegt, vielleicht erinnerst du dich?«
    Tamar runzelte die Stirn. »Kann sein. Den Fahrer haben wir nie gefunden, nicht wahr?«
    Kuttler nickte. »Übrigens hatte sie nicht nur einen Sohn, sondern war auch mal verheiratet gewesen, mit dem Kindsvater, ein gutes Jahr, dann hat sie sich scheiden lassen. Ich habe den Ex angerufen, einen Professor in Hannover, das heißt, das habe ich eben nicht geschafft, die norddeutsche Zweitfrau hat mich abgewimmelt.«
    Tamar sah zu ihm hinüber. »Was hast du denn da?« Sie deutete auf das Buch im Querformat, in rotes Leinen gebunden.
    »Das ist ein Tagebuch«, sagte Kuttler und versuchte, nicht verlegen zu werden. »Das Tagebuch von diesem Sohn, einem Tilman Gossler...« Plötzlich kam ihm eine Idee. »Ich wollte dich schon fragen, ob du ihn vielleicht gekannt hast. Er war in meinemAlter, hat Jura studiert und war viel im Eastside, das damals wohl GlucksKasten hieß.«
    »Das war nicht meine Szene.« Plötzlich hob Tamar den Kopf und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Kuttler – was treibst du da? Dieses Tagebuch geht uns und geht dich nichts an, so wie die Dinge liegen, oder liegt da doch was vor?«
    »Nöh«, machte Kuttler.
    »Dann bring es zurück oder tu’s zu den Dokumenten für den Nachlassrichter.«
     
    Zu Mittag aß Kuttler einen Teller Pasta im Café »Wichtig« und trank ein Mineralwasser dazu. Das »Tagblatt« berichtete über die Verabschiedung des Innenministers und knüpfte daran einige Mutmaßungen über ein bevorstehendes Revirement in der baden-württembergischen Polizeiführung. Eine dieser Spekulationen betraf den Ulmer Kriminalrat Englin, der für die Leitung der vakanten Polizeidirektion Friedrichshafen ausersehen sei, ja, er sei praktisch bereits ernannt, nur die Ernennungsurkunde müsse noch unterschrieben werden... Außerdem gab es einen phantasievollen Bericht über den Banküberfall in Ochsenhau- sen, den das Tagblatt einer oberschwäbischen Kalaschnikow-Bande zuschrieb, weil bei einem der vorhergegangenen Überfälle ein Streifenwagen, der die Verfolgung aufgenommen hatte, mit einem

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