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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Czybilla beugte sich nach vorn, setztedie goldgeränderte Brille mit den sehr kleinen Gläsern ab und rieb sich die Augen, als seien sie erschöpft vom Studium der in Sechs-Punkt-Größe gedruckten Zahlenkolonnen des Börsenberichts.
    »Vielleicht sollten Sie mir einfach sagen, wer Sie an mich empfohlen hat?«, fragte er schließlich.
    Aber er hätte es sich denken können. Es war ein guter Bekannter eines guten Bekannten, und man war sich im Golfclub näher gekommen.
    Wie sieht wohl der Lawn aus, wenn solche Leute darüber gelaufen sind, überlegte Czybilla eine halbe Stunde später, als er den Inhalt der Aktentasche – 30000 Euro in gebrauchten Scheinen – in seinem Tresor verstaute. Eine Mozart-Melodie kam ihm in den Sinn, und er summte vor sich hin: »Wollt ihr nun tanzen, mein lieber Klempner, die Gitarre dazu spiel ich...
    In diesem Augenblick schlug das Telefon an, er nahm ab. »Ein Anruf für Sie«, sagte Susi. »Ein Herr Treutlein...« Czybilla verzog das Gesicht, dann meldete er sich.
    »Das tut mir Leid, Juffy «, sagte er nach einer Weile. »Ja, sicher... warum sollen wir keinen Kranz schicken?... Wenn du einen Bedarf siehst... Natürlich können wir da hin, Eastside heißt es ja jetzt, ist ganz gediegen, nein, nicht am Abend... 14 Uhr, das geht, wenn es nicht zu lange dauert.«
     
    E inen Kaffee?«, fragte Dr. Roman Kovacz, und Kuttler antwortete, danke, er habe gerade erst. Dabei ist es blöde, dachte er noch, eine Tasse Kaffee auszuschlagen, weil man Kaffee nicht nur trinkt, um Kaffee zu trinken, sondern vor allem, um eine Gesprächssituation aufzubauen, wie es einer der Dozenten an der Fachhochschule gesagt hatte.
    Aber da war es schon zu spät.
    »Ja, also dann«, sagte Dr. Kovacz, »zu der alten Dame, die Sie mir haben bringen lassen... Lassen Sie mich raten... Im erstenAugenblick habe ich gedacht, Sie hätten sie auf einem Dachboden gefunden, auf der Bühne, wie man hier sagt, dort, wo es trocken ist und vor allem gut durchlüftet...«
    Kuttler wollte sagen, dass er eigentlich nicht zu einem Ratespiel hergekommen sei, schwieg aber lieber.
    »Aber der sonstige Zustand deutet nicht auf einen Dachboden hin«, fuhr der Gerichtsmediziner fort. »Den sucht man sich auch nicht zum Sterben aus, es sei denn, man wünschte, sich aufzuhängen. Sie haben sie auch nicht im Wald gefunden, ganz ausgeschlossen, sondern in einer Wohnung, in einer gut gelüfteten Wohnung, es muss Durchzug möglich gewesen sein, also waren die Fenster offen, aber wenn die Fenster offen waren, müssen die Fensterläden vorgelegt gewesen sein, sonst hätten sich allerhand gefiederte Gäste eingefunden und an den Augen herumgepickt...«
    My dear Watson, dachte Kuttler. Ein Regenschauer schlug gegen die Mansardenfenster des Dienstzimmers, das im Dachgeschoss einer alten Villa untergebracht war.
    »Liege ich soweit richtig?«
    »Bingo«, antwortete Kuttler.
    »Ich vermute, Sie wollen gerne ein paar konkrete Angaben haben«, sagte Kovacz etwas pikiert. »Also. Sie wog nur noch knapp neun Kilo, Sie könnten also von einer Dörrleiche sprechen. Nun war sie schon zu Lebzeiten eine zierliche Person, aber knapp neun Kilo sind noch weniger als das Trockengewicht eines Menschen, das etwa vierzehn Kilo ausmacht. Das heißt, die alte Dame ist nicht vollständig mumifiziert, wie dies eher selten vorkommt, sondern es hat auch einen Abbau von Gewebesubstanz gegeben, insbesondere in der Bauchhöhle, durch die von Gallenflüssigkeit und Magensäure ausgelöste Auto lyse.«
    Autolyse? Kuttler versuchte, sich lieber nicht vorzustellen, wie ein Magen sich von selbst auflöst. Er hätte die Tasse Kaffee nicht ausschlagen sollen.
    »Aber zur Todesursache!«, fuhr Kovacz fort. »Keine Gewalteinwirkung,keine Strangulation. Keine akute organische Erkrankung. Restbestände von Medikamenten sind nachweisbar, aber nicht in einer Dosierung, die in irgendeiner Weise – also auch nicht durch eine Kombination von Wirkstoffen – hätte zum Tode führen können.«
    »Hat sie sich zu Tode gehungert?«, fragte Kuttler.
    »Nein, denn dann müsste es Anzeichen für einen massiven Abbau von Körpersubstanz noch zu Lebzeiten geben. Die liegen nicht vor. Aber warum fragen Sie?«
    »Sie ist im Zimmer ihres Sohnes gefunden worden«, antwortete Kuttler. »Der Sohn ist vor Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
    »Vielleicht wollte sie einfach nicht weiterleben«, meinte Kovacz. »Auch das soll vorkommen.«
    Kuttler bedankte sich und stand auf.
    »Wie geht es

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