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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Scheißhaus, wo ich die Klausur in kleine Stücke reiße. Aber bevor ich sie runterspüle, fällt mir auf, dass das Klo so aussieht, als ob es gleich ver stopft, das will ich denn doch nicht, dass die Klausur hier hoch geschwemmt wird, und die Fitzelchen verteilen sich mit der Scheiße auf dem Boden, und auf einem der Fitzelchen kann man dann meinen Namen lesen... So tappe ich mit meiner Mappe voller Papierfetzen zurück in die Kneipe und trinke noch einen Glühwein und einen Kognak, ich kann zahlen, jawohl, ich habe ja noch immer das Geld aus der Konstanzer Spielbank! Ewig muss ich aber hier nicht bleiben, vom anderen Tisch gucken die Leute schon komisch, also zahle ich und ziehe weiter, hoch zur Stiftskirche und an ihr vorbei, irgendwann entdecke ich einen großen Müllbehälter, offenbar ist morgen Müllabfuhr, wozu braucht die Kirche einen so großen Müllbehälter? Ich mache ihn auf, verwelkte Blumen liegen darin und Einwickelpapier und lassen auch noch Platz für die Fitzelchen und Dunstheimers zwei Punkte. Gleich daneben ist ein Café, wo ich beschließe, mich für die weitere Nacht mit einem doppelten Espresso und einem Kognak fit zu machen, hatte nicht der Bilch behauptet, davon werde man praktisch nicht betrunken? Wieder eine halbe Stunde später finde ich mich im »Trotzki« ein, wo ich leider keinen Espresso, sondern nur einen Kaffee zum Kognak bekomme, was natürlich nicht perfekt ist, trotzdem bestelle ich eine zweite Runde, als ein Mensch zur Türe hereinkommt und – blaß-rosa der Teint, brandrot das Haar – sich als der Bundestagsabgeordnete Schleicher herausstellt.
    Schl. : »Du hier?« (Oder so ähnlich, jedenfalls ziemlich blöd). T. : »Wieso sitzt du nicht an deiner Diplomarbeit?«
    Schl.: »Die ist fertig. So gut wie.«
    T. : »Fein. Dann lad mich zu einem Kognak ein. Zu einem Kognak und einem Kaffee.«
    Schl.: »Nicht besser einen Kaffee allein?«
    T.: »Hast du nun was zu feiern oder nicht?«
    Schleicher ist damit fürs Erste geschlagen, aber den dritten Kaffee mag ich nicht mehr, wir setzen uns in eine Ecke, und ich erzähle ihm, dass auch ich etwas zu feiern habe, nämlich eine »Entsorgung«. Er will wissen, was das ist, aber so genau will ich ihm das nicht auf die Nase binden, seine Nase ist übrigens gerade und ausgeprägt, überhaupt hat er ein kantiges Gesicht, männlich, ja doch, ein wenig schmallippig, Kognak will er keinen trinken, aber Bier. Ich sage ihm, er soll mir etwas von seiner Diplomarbeit erzählen, worauf sie hinausläuft oder was er herausgefunden hat, und er beginnt zu reden und redet und merkt nicht, dass ich kein Wort verstehe oder überhaupt nicht zuhöre, sondern nur darauf achte, wie er sein Bier trinkt, plötzlich will ich nicht allein sein, nur das nicht, das Geplätscher von Schleichers Rede soll weitergehen... Eine Stunde später meint er, es sei nun doch spät geworden, ob ich noch nach Lustnau wolle? Ich könne auch bei ihm übernachten, das sei nicht so weit, und so ziehen wir über den Neckar in die Südstadt, wo Schleicher ein schmuckes Kellerzimmer bewohnt, eine Luftmatratze hat er nicht, und eine Couch gibt es auch nicht.
    »Wenn es dir nichts ausmacht«, sagt er und sieht mit seinen grünen Augen irgendwie an mir vorbei, »kannst du ja bei mir im Bett schlafen...«
    Das sollte Luzie aber lieber nicht erfahren, will ich sagen und lass es bleiben, überhaupt bin ich – falls mich meine Erinnerung nicht täuscht – zuletzt ein wenig einsilbig geworden, die Worte wollen nicht mehr so recht, ich ziehe mich aus und bin plötzlich nackt.
    »Das... das darfst du nicht machen«, höre ich Schleicher sagen, »das gibt ein Problem für mich...«
    Ich sehe ihn an, und in all meiner Betrunkenheit begreife ich.
     
    Donnerstag, 27. November
    Was gestern war, kann ich aus einleuchtenden Gründen erst heute schreiben. Irgendwann in der Nacht wache ich auf, weiß nicht, wo ich bin, habe Durst und stehe schließlich auf, das heißt, ich muss über Schleicher steigen, der jetzt einen Schlafanzug trägt, stehe also auf und ziehe mich an, dabei merke ich, dass ich fürchterliches Kopfweh bekommen werde. Offenbar muss ich in der Nacht in das Bett gefallen und eingeschlafen sein, unmittelbar, nachdem ich Schleichers Problem erkannt hatte (schließlich war es nicht zu übersehen gewesen), oder es war so, dass in eben dem gleichen Augenblick mein Black-out einsetzte, so dass ich nicht weiß, was danach war und ob Schleicher seine Erektion behoben hat und – wenn ja – wie.

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