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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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wir das unterstützen müssten. Schließlich sage ich, wetten bräuchten wir ja nicht. Aber statt des blöden Bleigießens könnten wir doch an Silvester das Spiel machen: Wer gehört dem Wolf? Bilch versteht nicht, und ich erkläre ihm, dass wir einfach darüber abstimmen, wer von uns sieben nächstes Jahr noch zu Silvester kommen darf, für jede Einladung einen Wahlgang, bis einer übrig bleibt, und der hat dann wegzubleiben. Und dass wir das jedes Silvester machen könnten – »oder ihr könnt das« –, bis nur noch zwei da sind. Und die müssten sich ihr ganzes restliches Leben aushalten.
    »Du bist heut nicht gut drauf, oder?«, fragt Luzie, aber Bilch sagt, dass er den Vorschlag sehr gut findet und auch schon einen Kandidaten hat, vielleicht sogar eine Kandidatin.
    »Wenn nur du dabei bleibst«, sage ich dümmlich, und vielleicht hätten wir uns noch richtig gezofft, wenn Puck nicht schrill aufgeschrien hätte, dass sie uns ja noch die Fotos zeigen müsse, die ihr Belinda geschickt habe, und dann mussten wir die Fotos von irgendwelchen Windelpaketen mit Inhalt bewundern und süß finden, sonst hätte es Ärger mit Puck gegeben.
     
    Montag, 24. November
    Im Zug in dem Sammelband mit den Aufsätzen über Rechtsphilosophie gelesen, ein Graukopf verstrickt mich in ein Gespräch:
    »Sie studieren Jura?«
    Zu peinlich. Ich versuche, ein Gespräch zu vermeiden, ein Mädchen kommt vorbei und fragt, ob wir ihr zwei Mark für den Tübinger Stadtbus geben könnten, sie hätte alles Geld für die Fahrkarte ausgegeben. Der Graukopf holt einen fadenscheinigen Geldbeutel heraus und gibt ihr den Zweier. Darauf:
    T: »Haben Sie ihr diese Geschichte geglaubt?«
    G: »Darauf kommt es nicht an. Sie hat schöne Augen.«
    T: »Also darum heißt es, jemandem schöne Augen machen.«
    Schließlich sind wir nun doch im Gespräch, und zwar über das Betteln und die Frage, was denn einem Gesetzgeber das Recht gebe, das Betteln zu verbieten.
    T: »Den zivilisierten Staat erkennt man daran, dass Betteln nicht mehr nötig ist.«
    G: »Ich bin schon froh, wenn Ihr zivilisierter Staat ein paar Grundrechte übrig lässt. Und sei es das auf Armut.«
    Zyniker, wenn sie in die Jahre kommen, sind nur noch Schwätzer.
     
    Dienstag, 25. November
    Im Seminar Verwaltungsrecht behandelt Lindtorff den Begriff der Störung, kommt prompt auf das Bettelunwesen in den Fußgängerzonen zu sprechen, ich mache den Einwand, Betteln sei schon im Mittelalter ein selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens ge wesen, sozusagen im gesamten christlichen Abendland, und die Kommilitonen fangen an zu kichern, christliches Abendland! Sehr komisch. Und ich fahre fort, man könne sich doch nicht ständig auf die christlich geprägte Grundordnung berufen und dann...
    »Wollen Sie darüber arbeiten?«, unterbricht mich Lindtorff, ich reagiere nicht sofort, sondern merke nur, dass die Kommilitonen nicht mehr kichern, L. schiebt noch etwas nach von einem rechtsgeschichtlichen Überblick über kommunale Polizeiordnungen und den Status von Vermögenslosen, ob mich das interessieren könne?
    Dann zögere ich zu lange, und er wendet sich schon wieder ab. Nach dem Seminar gehen wir ins »Gutenberg«, das heißt, es sind die, die nach dem Seminar immer dorthin gehen, aber irgendwie scheine ich diesmal mitkommen zu sollen oder dürfen. Die Blonde sagt mir beiläufig, ich hätte da einen guten Beitrag geliefert, ob ich das nicht an Lindtorffs Reaktion gemerkt habe? Ich antworte, dass ich mich eigentlich nicht darum schere, was ein Prof meint. Die Blonde heißt übrigens Helga, hat diese Haut, die gerne einen Ausschlag bekommt, und trägt – vermute ich mal – Kontaktlinsen.
     
    Mittwoch, 26. November
    Heute wurde die Dunstheimer-Klausur zurückgegeben. Zwei Punkte. Ich weiß nicht mehr, wie ich die Besprechung überstanden habe oder wie ich danach aus dem Hörsaal herausgekommen bin, als wäre nichts. Irgendwie schaffe ich es, vorbei an den Wichtigtuern mit ihren neun oder zehn Punkten, ohne einen von ihnen zu sehen, und mache mich auf den Weg zu meiner Bude und bleibe stehen und gehe weiter und bleibe wieder stehen und kehre um und stolpere durch die Stadt an den Neckar, weil ich glaube, dass irgendwo auf der Platanenallee eine Feuerstelle ist, wo ich die Klausur verbrennen kann, aber irgendwann stelle ich fest, dass ich keine Streichhölzer bei mir habe... Blind laufe ich schließlich in der Kneipe an der Ufermauer ein und bestelle einen Glühwein und gehe aufs

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