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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Schnellfeuergewehr zu Schrott geschossen worden war.
    Kuttler bestellte noch einen Espresso und stellte sich den verhaltenen Jubel im Neuen Bau vor, das Zischen der Bierdosen und das mühsam unterdrückte Knallen der Sektkorken, wenn aus Stuttgart die Nachricht von Englins Beförderung an den Bodensee eintreffen und die Runde machen würde... Er trank aus, zahlte und ging beschwingt die Platzgasse hinunter zum Landgericht, wo er vor der Ersten Großen Strafkammer als Zeuge geladen war. Es ging um eine Messerstecherei auf dem letzten Volksfest in der Au, als eine deutsch-russische und einetürkische Clique aneinander geraten waren, das heißt, eine Messerstecherei konnte es eigentlich nicht gewesen sein, denn bei der polizeilichen Vernehmung waren sich alle Beteiligten einig gewesen, dass sie sich ganz friedlich unterhalten hätten und sich durchaus nicht erklären könnten, warum dem einen von ihnen nun plötzlich der halbe Magen und die ganze Milz fehlte.
    Der Vorsitzende Richter hatte Kuttler für 14 Uhr geladen, aber dann lehnte einer der Anwälte das Gericht wegen Befangenheit ab, weil sich der Berichterstatter der Kammer ein wenig sarkastisch über die Absichten geäußert hatte, die mit dem Erwerb eines Butterfly-Messers seitens des Hauptangeklagten verbunden gewesen sein mochten. Kuttler überlegte, ob er zurück zum Neuen Bau gehen sollte, doch der Protokollführer des Gerichts meinte, die Sache sei in einer halben Stunde erledigt. Also setzte sich Kuttler auf eine der Bänke im Treppenhaus, holte das Buch hervor, das seine Manteltasche ausbeulte und das er eigentlich nach der Verhandlung noch in die Wohnung auf dem Michelsberg zurückbringen wollte, und schlug es an der Stelle auf, an der er zuletzt zu lesen aufgehört hatte.

Tilmans Tagebuch
Zweiter Teil
    Samstag, 15. November
    Isolde kommt vorbei, aber ich habe tatsächlich Fieber und rede viel zu viel, zum Beispiel, dass ich keine Lust habe, irgendwann Anwalt zu werden, womöglich noch in einer Sozietät, wo die großen Fälle dann selbstverständlich den Seniorpartnern zugeteilt werden... Isolde sieht mich an, auf eine Weise, die mir fast mitleidig vorkommt, und so höre ich auf zu reden und frage sie, wie es bei ihr wird, und sie erzählt irgendetwas von ihrer Zulassungsarbeit, neuerdings haben sie es alle furchtbar wichtig mit ihren Zulassungsarbeiten und Diplomen.
     
    Mittwoch, 19. November
    Am Montag wieder nach Tübingen, aber immer noch krank, die erste von den Klausuren im Schuldrecht beim ekelhaften Dunstheimer, um mich herum lauter eifrige hochrote Gesichter, alle tief über den Schreibblock gebeugt, wissende Gesichter, die Münder hechelnd vor Einverständnis mit den Tücken der Aufgabe. Kein gutes Gefühl.
    Zum Assistenten von Zivilprozessrecht II gegangen und gebeten, das Referat erst im Januar halten zu müssen. Er sieht mich an und sagt, das gehe schon, aber ich soll im Dezember noch einmal kommen und einen Vorbericht geben. Im Antiquariat bei der Alten Mensa eine Broschüre mit Aufsätzen über Rechtsphilosophie entdeckt, die Broschüre ist in den zwanziger Jahren herausgegeben worden und noch nicht einmal aufgeschnitten.
    Freitag, 21. November
    Obwohl das Semester eben erst begonnen hat, treffe ich im Glucks- Kasten nicht nur den notorischen Bilch, sondern auch die anderen, mit Puck sind wir zu siebt, das ist inzwischen die optimale Idealbesetzung, wie es aus Juffy schwallt, der heute mal wieder seinen euphorischen Tag hat. Mehr sind aus unserer Clique nicht übrig – Torsten und Kai gingen nach Berlin, Belinda lebt in Rom und säugt, und von Ngyen hat Schleicher zuletzt aus Singapur gehört, offenbar will er »back to the roots« ...
    »Ich frage mich«, fragt sich L uzie, »wie viele wir in einem Jahr noch sind.«
    Schweigen senkt sich über die Runde, schließlich sage ich, dass es überhaupt ungewöhnlich sei, wie lange wir schon zusammenglucken, und Bilch schaut mich lange an und bemerkt, ausnahmsweise hätte ich Recht. Juffy aber kann nicht an sich halten, wir seien einfach die beste Clique der Welt oder zumindest in der Stadt, und will nicht damit aufhören, bis der Bilch ihn unterbricht und vorschlägt, wir könnten doch wetten, wer nächstes Jahr nicht mehr dabei sei.
    Dann ist wieder eine Weile Stille, bis Isolde sagt, darüber mag sie nicht wetten, obwohl sie wisse, wer ihr Kandidat sei, und Schleicher meint, mit dem Bilch wette er schon gar nicht, weil der sich sowieso noch um Kopf und Kragen zocken werde, auch ohne dass

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