Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
desto deutlicher wurde, dass wir zu spät waren. Gerade wurde ein lebloser Köper von zwei Sanitätern auf einer Bahre in die Ambulanz verfrachtet, ein halbes Dutzend Beamte stand unentschlossen herum, als gäbe es nichts mehr zu tun. Kein gutes Zeichen.
    »Was war da los?«, erkundigte ich mich bei José, der stehen geblieben war, um sich einen Überblick zu verschaffen. Ehe er antworten konnte, eilte ein korpulenter grauhaariger Mann auf uns zu, riss wedelnd die Arme hoch und brüllte meinen Kumpel in einem osteuropäisch klingenden Akzent an, auf der Stelle mit dem Fotografieren aufzuhören. Ungehalten, dafür grammatikalisch durchaus originell, verwies er auf irgendwelche Anwälte und was uns alles blühen würde, der Rest ging unter in einer zunehmend unverständlicher werdenden Tirade. Wieder so ein Beispiel dafür, wie wertvoll kostenlose, dafür obligatorische Sprachkurse für die zügige Integration von Einwanderern wären.
    Plötzlich fuhr er herum und blickte mit halb offenem Mund zur Ambulanz, die eben die Sirene eingeschaltet hatte und nun über den Uferweg davonjagte. Vielleicht gab es noch Hoffnung für das Opfer.
    Der Mann setzte sich unverzüglich in Bewegung und watschelte auf einen silberfarbenen BMW zu, der mitten auf der zugeschneiten Wiese stand. Umständlich zwängte er sich in den Wagen und folgte der Ambulanz.
    Als ich mich bei José erkundigen wollte, wer der Mann überhaupt gewesen war, fiel mir inmitten der graublauen Beamtenuniformen plötzlich ein altbekannter Kamelhaarmantel auf. Deswegen war Tobler also vorhin so in Eile gewesen.
    Ich hatte noch keine Zeit gehabt, José über den aktuellsten Stand meiner Ermittlungen zu informieren. Doch jetzt wünschte ich, ich hätte es getan, denn José hatte den Staatsanwalt ebenfalls entdeckt und marschierte nichts ahnend auf ihn zu.
    »Dr. Tobler!«, rief er und blieb an der rot-weißen Absperrung stehen. »Dürfte ich Sie um ein kurzes Statement bitten?«
    Tobler hob den Kopf. Als mich sein Blick streifte, verzogen sich seine Augen für den Bruchteil einer Sekunde zu schmalen Schlitzen, ansonsten ließ er sich nicht das Geringste anmerken. Der Mann war wirklich abgebrüht.
    »Kein Kommentar«, antwortete er kurz angebunden und reckte dann das Kinn herablassend in meine Richtung. »Kumar, ich hoffe, Sie nehmen mir meine kleine Indiskretion bezüglich des toten Jungen nicht übel«, sagte er beiläufig. »Sie wissen schon, die Zeitungen und all das. Aber so ist das nun mal in diesem Geschäft.«
    »Ich habe Sie im Park gesehen!«, schleuderte ich ihm angewidert entgegen.
    Tobler war nahe an das Absperrband getreten und fixierte mich. Ich erwiderte seinen Blick stoisch. Er musste der Mörder sein, so kalt und lauernd, wie er vor mir stand. Seine Akte steckte immer noch in der Innentasche meiner Jacke. Ich brauchte das Dokument nur zu zücken und seine überhebliche Haltung würde in Sekunden zusammenbrechen wie ein amerikanisches Fertighaus in einem Hurrikan.
    Doch je länger ich in sein Gesicht blickte, desto mehr Zweifel beschlichen mich. Was war, wenn er sich nicht unter Druck setzen ließ? Er war Staatsanwalt und ich Privatdetektiv, so sah es aus. Man brauchte nicht lange zu rätseln, wer bei meiner dünnen Beweiskette den Kürzeren ziehen würde.
    »Wir sollten uns mal unterhalten«, knurrte er so leise, dass es José nicht hören konnte.
    »Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, gab ich zurück.
    »Unter vier Augen! Ich glaube nämlich, Sie haben etwas, das mir gehört!«
    »Wissen Sie schon, weshalb er ins Wasser gegangen ist? Wollte er sich tatsächlich umbringen?«, drängte sich José dazwischen.
    Konsterniert fuhr ich herum. Davon hatte ich nichts gewusst. José hatte mir während der Fahrt nur gesagt, dass ein junger Mann im See treibend gefunden worden sei. Von versuchtem Selbstmord keine Rede.
    »Wie gesagt: kein Kommentar!«, schnaubte Tobler verächtlich.
    »Sind Ihnen Vermutungen lieber?«
    »Ihr Journalisten schreibt doch ohnehin, was ihr wollt!«
    So wie es aussah, brauchte José dringend meine Unterstützung. Wenn es sich hier tatsächlich um einen weiteren versuchten Selbstmord handelte, dann war ich über alle Maßen daran interessiert. Dazu musste ich mich allerdings weit aus dem Fenster lehnen.
    »Wie wäre es, wenn er stattdessen einen Artikel über die ›kleinen Indiskretionen‹ der Staatsanwaltschaft verfasst? Ich habe nämlich gerüchteweise von hochinteressanten Unterlagen gehört, in denen sozusagen alles indiskret sei.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher