Uferwechsel
Vielleicht kann uns Ihre Frau bei der Recherche behilflich sein.«
Tobler, der sich bereits ein paar Meter entfernt hatte, wirbelte herum. »Sie drohen mir?«
»Ich spiele nur mögliche Optionen durch.«
Natürlich war das ein niederträchtiger Zug von mir gewesen, seine Frau ins Spiel zu bringen, andererseits musste ich um jeden Preis wissen, was hier geschehen war. Denn wenn es ein weiteres Opfer von Saids und Nils’ Mörder gab, dann änderte sich die Ausgangslage dramatisch.
Als Tobler jetzt auf uns zukam, war unübersehbar, dass er sauer wurde, mit jedem Schritt ein Stück mehr. »Ich sagen Ihnen, womit Sie spielen, Kumar: mit dem Feuer! Und das wissen Sie ganz genau.«
»Offenbar bin ich nicht der Einzige.«
»Verbrennen Sie sich bloß nicht die Finger!«
»Wenn man die Hitze nicht erträgt, sollte man nicht in der Küche arbeiten. Ich bin hohen Temperaturen gegenüber resistent. Sie auch?«
Ich verzog keine Miene, während mich Tobler über die Absperrung hinweg wütend anfunkelte. Nichts an ihm erinnerte mehr an George Clooney, vielmehr wirkte er hohläugig und ausgelaugt. So ein Doppelleben musste ungemein anstrengend sein.
»Nun?«, fragte José, der unserem Schlagabtausch verwirrt gefolgt war, doch Tobler reagierte nicht darauf.
»Nun?«, doppelte ich nach und hob auffordernd die Augenbrauen. »Sie wissen schon, die Zeitungen und all das.«
»Ich habe keine Ahnung, wo Sie Ihre lausigen Hinweise herhaben«, fauchte der Staatsanwalt. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie komplett falsch sind. Marislav Stamenkovic wollte sich nach unseren Erkenntnissen keineswegs umbringen. Vielmehr handelt es sich um einen Mordversuch.«
»Mordversuch?«, echote José, während er hastig ein Diktiergerät aus seiner Jacke hervorpulte.
Ich starrte Tobler so durchdringend an, wie mir irgend möglich war.
Marislav Stamenkovic war die Schweizer Tennisnachwuchshoffnung, ein junger Mann, dem selbst die ganz Großen im Tenniszirkus Respekt zollten und – was mich in höchste Alarmbereitschaft versetzte – über dessen sexuelle Ausrichtung immer wieder gemunkelt wurde. Der cholerische Mann im Anzug vorhin musste Stamenkovics Manager gewesen sein.
»Wie geht es Stamenkovic überhaupt? Und weshalb sind Sie sich so sicher, dass es sich um einen Mordversuch handelt?« José war ganz in seinem Element, seine Augen flackerten, sein ganzer Körper vibrierte vor Anspannung. Wie es aussah, waren bislang noch keine anderen Journalisten eingetroffen, das beflügelte seinen Ehrgeiz sichtlich.
»Er hat knapp überlebt«, rang sich Tobler zu einer Antwort durch. Ich war beeindruckt, was so eine kleine Drohung bewirken konnte. »Er ist allerdings stark unterkühlt. Wir wissen nicht, wie lange er im Wasser gelegen hat.«
»Er ist also nicht selbst hineingegangen?«
Tobler verneinte. »Er kam ganz kurz zu sich, bevor man ihn ins Spital gebracht hat …«
»Hat er was gesagt?«
Tobler haderte sichtlich. »Er hat berichtet, dass er kurz nach sieben auf dem Heimweg überfallen wurde. Er kam gerade vom Training im Swiss Tenniscenter Höngg. Leider konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen, wer es gewesen war. Ist eine eher verlassene Gegend da.«
Ich nickte beipflichtend.
»Er sagt, man hätte ihn betäubt. Wahrscheinlich mit Chloroform. Von da an fehlt ihm jede Erinnerung. Ein Passant, der mit seinem Hund eine späte Runde durch den Park drehte, sah ihn zufälligerweise nackt im Wasser treiben.«
»Nackt? Und was ist mit seiner Kleidung?«, hakte ich nach.
»Bislang haben wir nichts gefunden, auch keine Sporttasche oder den Tennisschläger. Zurzeit überprüfen wir gerade den Ort der Entführung im Stadtteil Höngg, aber so wie es aussieht, liegt da auch nichts. Der Mörder muss alles mitgenommen haben.«
Grübelnd starrte ich auf die schwarze Oberfläche des Sees, als mir noch etwas einfiel: »Und weshalb ist er nicht ertrunken?«
»Die Strömung hat ihn ans Ufer zurückgetrieben. Er hatte großes Glück.«
»Hat das irgendwas mit den Gerüchten um seine angebliche Homosexualität zu tun?« Ganz Boulevardjournalist übernahm José wieder das Ruder.
»Dazu kann ich keine Auskunft geben.« Das bestimmte Zucken seiner Mundwinkel signalisierte uns, dass Tobler das Gespräch für beendet hielt.
»Aber …«
»Kumar, wir sprechen uns noch!« Der Staatsanwalt bedachte mich mit einem drohenden Blick, bevor er sich abwandte.
»Hatte Stamenkovic vor, sich gegen seine homosexuelle Neigung behandeln zu lassen?«, rief ich ihm,
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