Uferwechsel
kühl.
Mittwoch
»Das hätte ich nie gedacht!«, schwärmte Manju begeistert und riss ein handtellergroßes Stück Chapati ab, mit dem sie elegant und ohne die Finger zu beschmutzen das letzte Stück Lammfleisch auf ihrem Teller einrollte, bevor sie den Rest Soße auftunkte.
»Echt, Vijay, damit hast du uns alle überrascht!«, stimmte Fiona zu, die neben José an meinem zur Tafel umfunktionierten Schreibtisch saß.
»Na ja, indische Mütter haben eben auch ihre guten Seiten. Das muss auch mal gesagt sein. Sie stehen zum Beispiel einen Großteil des Tages in der Küche und kochen. Meine hat mich dabei richtiggehend geschult, natürlich in der Hoffnung, dass ich später einmal den Laden übernehmen würde.«
»Hat zwar nicht geklappt, aber wir sind ihr trotzdem dankbar für ihre Bemühungen«, feixte Miranda und löffelte sich etwas Tori Raita , Joghurt mit Zucchini und Tomaten, auf ihr Chapati .
Die Nachricht, dass sie auf einmal eine Tochter hatte, ließ Miranda irgendwie von innen heraus strahlen und neuerdings gab sie sich – ich vermutete reinen Übungszweck dahinter – ihren Freunden gegenüber betont fürsorglich, beinahe mütterlich. Zumindest zeitweise. Ihre Befürchtungen verbarg sie jedoch geschickt, nur in ruhigeren Situationen sah ich es in ihrem Gesicht, dass sie weiterhin hinter dem Stolz und der Freude lauerten.
Ich blickte in die Runde und ein Gefühl der Geborgenheit und des Glücks erfasste mich. Meine besten Freunde versammelt an einem Tisch, das war auch Familie. Ich bezweifelte zwar, dass meine Mutter mir zustimmen würde, zumindest für mich war es aber so. Wie sie mir bei ihrem letzten Anruf berichtet hatte, erholte sich mein Vater allmählich, an eine Rückkehr in die Schweiz sei jedoch nicht so bald zu denken. Es könne sogar sein, dass er längere Zeit in Indien bleiben würde und sie alleine zurückreisen werde. Es ging ihm besser – diese Nachricht hatte mich immens beruhigt.
Mit vollem Bauch lehnte ich mich zurück. Natürlich hatte ich viel zu viel gekocht und der Tisch war nun übersät von halb vollen Kupferschalen, in denen ich die Gerichte aufgetragen hatte, während das Wohnzimmer erfüllt war von würzigen Gerüchen, die ich wohl frühestens gegen Sommer wieder ausgelüftet haben würde. Aber das war egal.
Schon lange hatte ich zu einem Abendessen laden wollen, doch erst Manjus Sticheleien letzte Woche bezüglich meiner Kochkünste hatten mich veranlasst, sie und Miranda zu bitten, am Mittwochabend den Laden ausnahmsweise zu schließen, da ich sie alle bekochen wollte.
Ich hatte mich ziemlich ins Zeug gelegt: Bhindi Gosht , Lamm mit Okraschoten und Zwiebeln, Palak Paneer , Spinat mit indischen Käsewürfeln, dazu Raita und einen Topf des unvermeidlichen Basmatireises.
Zur Nachspeise hatte ich Gulab Jamun vorbereitet, frittierte und anschließend im Zuckersirup regelrecht ersäufte Teigbällchen. Erfahrungsgemäß konnte sich nach einem solchen Mahl keiner mehr rühren.
Neben mir nuckelte Kathi an einem Kingfisher- Bier. Sie war immer noch blass und den ganzen Abend ungewohnt still gewesen. Ich hatte sie eingeladen, um sie wenigstens für ein paar Stunden abzulenken, doch es war unübersehbar, wie sehr sie unter Nils’ Tod litt. Selbst als ich ihr von der Festnahme seines Mörders berichtet hatte, war sie seltsam unbeteiligt geblieben, obwohl ich zumindest Erleichterung erwartet hatte. Aber ich konnte sie verstehen: Die Meldung, dass man den Täter erwischt hatte, brachte nur kurz Genugtuung und kaum Trost. Die Lücke, die der geliebte Mensch hinterlassen hatte, blieb bestehen.
Jetzt stellte Kathi die Bierflasche hin und schob den Teller bestimmt von sich weg. »Dieser Staatsanwalt muss ja ein ziemliches Arschloch sein.«
Ich umging eine eindeutige Antwort, indem ich nach indischer Art mit dem Kopf wackelte, eine schlackernde Bewegung, aus der normalerweise kein Mitteleuropäer eine klare Aussage herauszulesen vermochte. »Er hat sich die ganze Zeit vor Angst beinahe in die Hosen gemacht. Schon bei der ersten Leiche, bei Said, war er alarmiert gewesen und hatte nur deshalb meine falsche Theorie von dem aus einem Flugzeug gestürzten Flüchtling übernommen, weil sie von ihm abgelenkt hat. Zu Recht hat er befürchtet, dass ihm jemand auf die Schliche kommen und sein Doppelleben auffliegen könnte. Deswegen hat er auch unverzüglich sein Profil auf der schwulen Datingseite gelöscht. Mein Glück, wie ich erst hinterher herausgefunden habe, denn hätte Beat weiterhin
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