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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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ihr macht einen glücklichen Eindruck.« Zugegebenermaßen war dies das Argument einer rosawangigen Großmutter, die nur kurz von ihrer Strickerei aufsieht und damit das Gespräch für beendet hält. Allerdings hatte ich tatsächlich den Eindruck, dass José und die blonde kurzhaarige Polizistin, die er vor etwas mehr als einem Jahr kennengelernt hatte, perfekt zusammenpassten. Wenn so was wie ›perfekt‹ in Beziehungen überhaupt existierte.
    José wand sich. »Schon, aber manchmal … vermisse ich die Zeit, als … du weißt schon.«
    »Nein«, spielte ich den Ahnungslosen.
    »Die Zeit, als ich noch frei war. Begehrt! Mir kommt es vor, als wäre ich transparent geworden, seit ich kein Single mehr bin. Die Frauen gucken durch mich hindurch, auch wenn ich ohne Fiona unterwegs bin. Als würden sie die Konkurrentin im Hintergrund wittern.«
    »Sobald du süßlich nach Babyscheiße und Karottenbrei riechst, erwacht ihr Interesse wieder, ich versprech’s dir. Junge Väter sind attraktiv, je schusseliger und überforderter, desto anziehender.«
    »Du bist echt keine moralische Stütze, Vijay«, seufzte José schwer.
    »Was willst du eigentlich? Man muss sich irgendwann entscheiden. Jahrelang hast du nichts anbrennen lassen. Wie oft du morgens irgendwo erwacht bist. Im besten Fall in einem Bett. Neben Damen, an deren Namen du dich meist nicht mehr erinnern konntest und in jenem speziellen Fall nicht einmal mehr an das Geschlecht. Hast du echt das Gefühl, du würdest was verpassen?«
    »Ach, darum geht es doch gar nicht.«
    »Worum dann?«
    »Ein Mann braucht hin und wieder Bestätigung. Von außen«, fügte José rasch an, als er sah, dass ich die Stirn runzelte.
    »Was willst du von mir hören?«
    José überlegte und nahm einen Schluck von seinem Drink. Dann sagte er zögernd: »Dass du mir recht gibst, vielleicht.«
    »Aber das kann ich nicht! Du bist in die Falle getreten und jetzt hast du den Salat.« Beschwichtigend drückte ich seine Schulter. »Fiona ist eine tolle Frau, du liebst sie, sie liebt dich und ihr passt hervorragend zusammen. Vier Kriterien, von denen die meisten Paare nicht einmal zwei schaffen.«
    »Aber …«
    »Wir werden erwachsen, José. Man kann es hinausschieben, aber nicht entkommen.«
    »Verdammte Scheiße.«

Freitag
    Ich knallte das Glas, in dem der Latte macchiato serviert worden war, so heftig hin, dass der Kaffee hochschwappte und auf die Titelseite der größten Schweizer Boulevardzeitung spritzte. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade las.
    Der Mann, der vom Himmel fiel , stand da in fetten Buchstaben, darunter war ein Bild des äußerst fotogenen Staatsanwalts Dr. Frank R. Tobler zu sehen, der sich im nachfolgenden Bericht dafür feiern ließ, dass er das Geheimnis um den Toten von Zumikon gelüftet hatte. Ein Flüchtling, der sich im Fahrwerkkasten eines Flugzeugs versteckt hatte und dabei erfroren sei, ließ sich der Staatsanwalt zitieren, ein tragisches Schicksal. Er dankte dabei der Bevölkerung für die zahlreichen Hinweise, die im Verlauf des gestrigen Tages bei der Staatsanwaltschaft und der Kripo eingegangen seien.
    Wütend schob ich die Zeitung von mir. Meine Gedanken waren gespickt mit nicht jugendfreien Begriffen und ich ging alle Folterarten durch, die mir bekannt waren. Und das waren seit Wikileaks und den Enthüllungen über die – leider nur diesbezüglich – sprühende Kreativität der amerikanischen Regierung unter George W. Bush so einige. Doch keine schien mir brutal genug für Staatsanwalt Dr. iur. Frank R. Tobler.
    Als ich mich etwas beruhigt hatte, schnappte ich mir die Gratiszeitung, für die José arbeitete, vom gerade frei werdenden Nachbartisch, überflog die Titelseite und blätterte dann zum ansehnlichen Bericht über den Leichenfund weiter. Die Redaktion hatte das verschwommene Bild des Toten abgedruckt, jedoch hatte man sich auf den Ausschnitt von T-Shirt und Hose beschränkt, der Anblick des geschändeten Gesichts blieb den Lesern erspart. Boshaft und hinterhältig, wie mein bester Freund nun mal war, hatte er stattdessen ein Foto von Staatsanwalt Tobler eingefügt, auf welchem dieser dem erfolgreichen indischstämmigen Privatdetektiv Vijay Kumar, der zufälligerweise ebenfalls vor Ort war, die Hand schüttelte. Ich erinnerte mich vage an Josés Bemerkung nach meiner kurzen Unterredung mit Tobler, dass er immerhin eine hübsche Aufnahme gemacht hätte. Tobler würde toben, da war ich mir ganz sicher.
    Meine Laune verbesserte sich schlagartig. Ich

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