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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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war kurz versucht, José anzurufen, um mich zu bedanken. Doch er hatte sich am Abend zuvor bereits nach vier Drinks verabschiedet, um bei Fiona zu übernachten, und ich wollte die beiden nicht stören. Auch ich war bald darauf nach Hause gegangen, mehr gezwungenermaßen als freiwillig, denn die Gesetze auf dem Markt waren knallhart: War man über dreißig, ein Mann und saß allein in einer Bar, erntete man von den anwesenden Frauen bestenfalls mitleidige Blicke. Demonstrativ zugekehrte Rückansichten und hochgezogene Augenbrauen waren jedoch wahrscheinlicher.
    Ich leerte mein Glas, bestellte einen weiteren Kaffee und lehnte mich zurück, während hinter dem Tresen der Milcherhitzer zu zischen begann.
    Es war ruhig hier um diese Tageszeit, kaum eine Handvoll Gäste zählte ich. Es sah hier genauso aus, wie es im Handbuch für neu zu eröffnende Lokale in Zürich aufgeführt wurde: gemütlich mit einem Hauch von alternativ, gebraucht wirkende Möbel, trendig. Auf die Karte gehörten nebst selbst gebackenem Kuchen zwingend mehrere Sorten Grüntee, Chai und mindestens ein fermentierter Trunk. Die Kundschaft durfte nicht zu jung und auf gar keine Fälle alt sein, betont lockere oder sogar unkonventionelle Kleidung war gefragt, Hochdeutsch wurde gerne gehört und auf Anfrage sogar gesprochen. Dabei war alles Zitat: Die Tapete erinnerte an die Biedermeierzeit, die Kellnerin an den Bioladen und das Ambiente an Berlin. Trotzdem oder gerade deswegen gefiel es mir hier.
    Dieses Café hob sich von dem guten Dutzend im gleichen Stil konzipierten Szenelokalen wenigstens durch seinen Namen ab: Dini Mueter , was auf Schweizerdeutsch – unschwer zu erraten – Deine Mutter bedeutete. Die Bezeichnung stellte einen vor unlösbare Probleme bei einer Verabredung, wollte man Frivolitäten vermeiden. ›Lass uns zu Deiner Mutter gehen‹ war genauso unzutreffend wie ›Ich stehe vor Deiner Mutter , aber die ist total voll‹ unsinnig. Sehr schweizerisch umschrieben dann die geöffnete Terrasse: ›Es ist so warm, dass Deine Mutter schon herausgestuhlt hat.‹ Und was gar nicht ging: ›Wir verbrachten einen lustigen Nachmittag in Deiner Mutter. ‹ Ich habe keine Ahnung, was sich die Betreiber bei der Namensgebung gedacht hatten. Trotz der sprachlichen Hürden war das Lokal jedoch meist gut besucht.
    Die Bedienung, eine junge Frau mit geröteten Wangen und einer sich in Auflösung befindenden Rastafrisur, stellte lächelnd den Macchiato vor mich hin und schob den Zuckerstreuer in meine Nähe.
    Gerade als ich danach greifen wollte, vibrierte mein Telefon, das ich auf den Tisch gelegt hatte, und zeigte eine unterdrückte Nummer an. Obwohl ich Gefahr lief, einmal mehr eine dieser hoch motivierten und genauso hartnäckigen Callcenter-Mitarbeiterinnen mit Balkanakzent abwimmeln zu müssen, nahm ich den Anruf entgegen. Anstelle des erwarteten einschleimenden Geplappers drang aber nur Schweigen an mein Ohr.
    »Kumar«, meldete ich mich erneut. »Wer ist da?«
    Jemand räusperte sich umständlich. »Vijay Kumar, der Privatdetektiv? Bin ich richtig verbunden?«
    »Goldrichtig«, versuchte ich es auf die lockere Tour, doch der Mann am anderen Ende blieb ernst.
    »Gut. Herr Kumar, ich möchte, dass Sie etwas für mich herausfinden.«
    »Wer sind Sie?«
    »Das tut nichts zur Sache.«
    »Für mich ist das durchaus ausschlaggebend«, wandte ich ein.
    Der Mann, der eine angenehme Stimme hatte, zögerte. Ich schätzte ihn auf über fünfzig, gebildet, verheiratet, in sicherer Position tätig. Mutmaßungen natürlich, doch mittlerweile hatte ich ein Gespür für Menschen entwickelt.
    »Ich möchte meine Identität nicht preisgeben. Unsere Zusammenarbeit wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt, das garantiere ich Ihnen.«
    Ein Geschäftsmann, analysierte ich, die distinguierte, aber etwas konstruierte Sprache verriet ihn.
    »Nun, ich arbeite nicht mit anonymen Auftraggebern, das steht so in meinen Geschäftsstatuten.«
    Der Anrufer ließ sich nicht beirren. »Der Fall liegt mir sehr am Herzen«, betonte er. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihn trotzdem übernehmen würden. Ich bitte Sie inständig.« Verzweiflung. Der Mann am Telefon war verzweifelt, jetzt hörte ich es deutlich heraus. Ich rief mir alle anderen Fälle ins Gedächtnis, an denen ich gerade arbeitete, worauf meine interne Suchmaschine null Ergebnisse lieferte. Anstatt Däumchen zu drehen und erwartungsvoll das Handy anzustarren, konnte ich ebenso gut meinem neuen Mandanten

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