Uferwechsel
Gefühlen kaum fähig wären. Er folgte mir barfuß und niedergeschlagen in Saids Wohnung, doch noch während ich ihm die Sachlage erklärte, winkte er ab.
»Vergiss es. Die meisten Freier löschen andauernd ihre Profile und eröffnen gleich wieder neue. Fotos stellt kaum einer von denen ein …«
»Weil bei denen nicht das Aussehen zählt, sondern einzig der schnöde Mammon!«
»Genau. Diesen Silberwolf erwischst du so nie.« Er kratzte sich nachdenklich zwischen den Beinen, dann hob er ruckartig den Kopf. »Außer …« Er hielt inne.
»Was? Sprich weiter!«, forderte ich ihn auf, froh um jede Anregung, die mir bei meiner Suche nach dem Silberwolf behilflich sein konnte.
»Na ja, außer du setzt einen Lockvogel ein. Jemanden, der sich mit ihm verabredet. Nur so kommst du an ihn ran.«
Ich überlegte. Luiz’ Idee war einleuchtend, mit etwas Glück würde sie sogar zum gewünschten Erfolg führen. Da war nur ein Haken: der Lockvogel.
»Würdest du …?«
»Nein.« Luiz’ Tonfall war eindeutig. »Verstehst du«, fügte er etwas versöhnlicher hinzu, »ich kann es mir nicht leisten, einen Freier hinters Licht zu führen. So was spricht sich schnell herum, gerade im Internet.«
»Aber Said war dein Freund.«
»Das macht ihn auch nicht wieder lebendig. Zudem haben Freier gewisse Vorlieben und stehen meist nur auf Typen, die diesen entsprechen. Said war schlank und feminin, ich hingegen …« Er deutete auf seinen Körper.
Ich musterte Luiz’ bullige Statur. Sein Berufszweig schien über viel Freizeit zu verfügen, der muskelbepackte Oberkörper ließ auf ausgiebige Aufenthalte im Kraftraum schließen, die Tätowierungen auf endlose, peinigende Stunden im Tattoostudio. Wenn Luiz recht hatte mit seiner These, dann würde ihn der Silberwolf kaum anziehend finden. Was mich erleichterte. Obwohl ich bei angespannter Bauchmuskulatur und eingestellter Atmung die solide Grundlage für ein Sixpack unter dem kaum erwähnenswerten Winterspeck ertasten konnte, wäre selbst mein voreingenommenes Umfeld nie auf die Idee gekommen, mich als gertenschlank zu bezeichnen. Entsprechend kam ich als Lockvogel kaum infrage. Wenigstens ein Mal verschaffte mir meine Figur einen Vorteil.
»Warum benutzt du nicht Saids Profil?«, schlug Luiz vor.
»Das funktioniert nicht. Wenn der Silberwolf tatsächlich der Mörder ist, dann weiß er, dass ihm jemand auf der Spur ist. Er muss sich sicher fühlen, sonst wird er niemals auf ein Treffen eingehen.«
»Hm.« Luiz kratzte sich am Kinn und betrachtete mich eingehend.
»Was ist?« Sein Blick machte mich nervös. Ich fragte mich mit einem Mal, wie sein Beuteschema wohl aussah und inwiefern ich hineinpasste. Instinktiv zog ich den Bauch ein und wünschte gleichzeitig, ich hätte etwas angezogen, das meine wahre Persönlichkeit besser unterstrich.
»Warst du mal dünner?«, fragte er unvermittelt.
Entrüstet drückte ich mein Kreuz durch. »Was genau willst du damit sagen?«
Luiz deutete auf meine enge Hose. »Die hat doch auch schon mal besser gepasst, nicht?«
Beleidigt sah ich an mir hinunter. »Vor einem Dutzend Jahren vielleicht. Da saß das Teil aber wie angegossen! Ich hab sogar noch Beweisfotos aus dieser Zeit.«
»Na prima!« Luiz klatschte begeistert in die Hände. »Stell die Bilder einfach ins Netz und guck, was passiert.«
»Aber die sind doch überhaupt nicht aktuell!«, gab ich zu bedenken.
»Du wirst dich wundern! Da gibt’s Benutzerfotos auf dieser Datingseite, die stammen aus Zeiten, als man Blitzlicht noch mit einem Häufchen entzündetem Magnesiumpulver produziert hat. Aber du in jünger und schlank wärst der perfekte Lockvogel. Dunkle Haut, schwarze Haare, Mandelaugen. Fast wie Said. Und Inder haben ja oft etwas Weiches, Weibliches an sich.«
»Jetzt reicht’s aber!«, rief ich aufgebracht. »Ich strotze nur so vor Testosteron und an mir ist rein gar nichts feminin!«
»Außer deiner Handtasche vielleicht. Und der Frisur. Und dem Papageienhemd. Die Hose eigentlich auch, die Stiefel ebenfalls und dann erst diese Absätze! Mein Gott! Da würde selbst die amtierende Miss Schweiz auf dem Weg zur nächsten Cüplibar einknicken.«
Wider Willen musste ich lachen. »Ist ja gut! Ich gebe mich geschlagen. Ich suche die Fotos raus und werde sie dann scannen und uploaden.«
Luiz wurde plötzlich wieder ernst und sah mich eindringlich an. »Aber sei vorsichtig, hörst du.«
»Ich hatte schon öfters mit bösen Jungs zu tun«, beruhigte ich ihn.
»Ich meinte damit
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