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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Schmied.« Sein kräftiger Händedruck überraschte mich. »Ich befürchte nur, ich kann Ihnen nichts Neues erzählen. Ich habe der Polizei alles gesagt, was ich weiß. Und das ist ohnehin nicht viel. Stand auch in der Zeitung.«
    »Ich hab’s gelesen. Ist Ihnen an jenem Morgen nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«
    »Außer der Leiche, meinen Sie?« Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Baumgruppe am gegenüberliegenden Rand der Lichtung. »Dort komme ich jeden Morgen vorbei, seit achtunddreißig Jahren. Immer dieselbe Route, mit jedem meiner Hunde. Abends begleitet mich manchmal meine Frau, doch am Morgen gehe ich allein. Nur das Tier und ich. Früher habe ich noch vor der Arbeit meine Runde gemacht, ich habe am Flughafen gearbeitet, gleich da drüben. In der Cargoabteilung. Harte Arbeit, aber ich war ganz zufrieden. Mein Junge hat es mir gleichgetan, der hat da sogar eine Kaderstelle. Irgendwas mit Controller, was weiß ich, heutzutage gibt’s ja nur noch englische Berufsbezeichnungen.« Schmied hielt kurz inne und zog an seiner Pfeife. »Seit meiner Pensionierung gehe ich nicht mehr ganz so früh los, manchmal erst um sieben. Aber der Hund will morgens raus, der gibt erst Ruhe, wenn ich die Leine vom Haken nehme. Nicht wahr, Chester?«
    Erwin Schmied tätschelte den Hals des Hundes, der sich zwischen uns hingesetzt hatte und hechelnd zum Waldrand blickte.
    »Sie kennen sich demnach gut aus in dieser Gegend. War am Donnerstag irgendetwas anders als sonst?«
    Schmied überlegte kurz. »Nein, ganz bestimmt nicht. Es hat ziemlich stark gestürmt, aber das kommt vor. Fast hätte ich den Toten übersehen.«
    »Wegen dem Schnee?«
    »Nein, wegen Chester.«
    »Chester hat angeschlagen, als Sie in die Nähe der Leiche kamen?«
    »Der Kleine hat irgendwas aus dem Schnee gegraben und darauf herumgekaut. So ein junger Hund frisst alles, da muss man schon acht geben. Ich bin also zu ihm hingerannt, und als ich sah, dass es etwas Ungewöhnliches war, hab ich ihm sofort den Kiefer aufgezwängt.« Erwin Schmied zog an seiner Pfeife und stieß den Rauch langsam aus. »Und wissen Sie, was ich ihm aus dem Maul geholt habe?«
    Ich setzte eine interessierte Miene auf.
    »Eine Tollkirsche! Hätte er die gefressen, hätte er sterben können. Ich hab seine Schnauze sofort mit Schnee ausgewaschen. Glücklicherweise habe ich das gerade noch rechtzeitig entdeckt, fürs Sterben ist es für dich definitiv noch zu früh, nicht wahr, Chester?« Chester hob gelangweilt den Kopf.
    »Das war es für Said auch.«
    »Said?«
    »Das war der Name des Toten, den Sie gefunden haben.«
    »Said«, flüsterte der ältere Mann und sah mich dabei erschrocken an. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht abschweifen. War ja auch nicht so wichtig, schließlich ist nichts passiert. Ich fand es nur merkwürdig, dass der Hund um die Jahreszeit eine Tollkirsche aufspürt. Aber ich langweile Sie mit meinen Ausführungen. Gleich danach, kaum hatte ich mich vom Schrecken erholt, ist mir die ungewöhnliche Erhöhung unter der dünnen Schneedecke aufgefallen. Die Leiche hat am Vortag noch nicht dagelegen, das hätte ich …«
    »Nein, nein, zurück.« Erst jetzt erkannte ich die mögliche Relevanz der Information. »Was war an der Tollkirsche so ungewöhnlich? Besteht die Gefahr nicht andauernd, dass der Hund so etwas frisst? Ich nehme an, dass diese Pflanze hier im Wald wächst.«
    Erwin Schmied blickte mich irritiert an. »Nun …«, begann er zögernd, »… die Tollkirschen werden im Spätsommer reif, dann gilt es, besonders aufzupassen. Bis in den Herbst hinein tragen sie Früchte. Aber noch nie habe ich eine derart gut erhaltene, reife Beere mitten im Winter entdeckt. Ich meine, die war weder vertrocknet noch faulig.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Es ist trotz Kälte und Schnee unmöglich, dass man um die Jahreszeit eine Tollkirsche in diesem makellosen Zustand auf dem Waldboden findet.«
    »Aber wie erklären Sie sich das?«
    »Jemand muss sie absichtlich da hingeworfen haben.«
    »Obacht, die Tasse ist heiß.« Silvia Schmied, eine zierliche, aber erstaunlich dynamische Frau, stellte die Zuckerdose und eine Tetrapackung Milch auf den Tisch.
    »Kaffeerahm haben wir leider keinen«, fügte sie bedauernd an und warf mir einen entschuldigenden Blick zu.
    »Kein Problem.« Ich wärmte meine klammen Hände an der Tasse. Nach wenigen Augenblicken waren sie puterrot und sahen aus wie verbrüht.
    »Sie sind also Privatdetektiv? Das muss ja ein spannender Beruf

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