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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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hatte ausgeschlossen, dass die Leiche am Vortag schon dort gelegen hatte.
    Silvia Schmied überlegte. »Nein, da war nichts …«
    »Der Bastiani ist vorbeigefahren …«
    »Aber der fährt jeden Tag bei uns vorbei«, verteidigte sich Frau Schmied. »Herr Kumar ist Detektiv und interessiert sich für Ungewöhnliches.«
    »Er hat nach dem genauen Ablauf unseres Morgens gefragt. Da musst du eben erwähnen, dass der Bastiani vorbeigefahren ist.« Mit Nachdruck stellte Schmied seine Kaffeetasse auf der Tischplatte ab.
    Seine Frau seufzte gereizt. »Na gut, der Bastiani fuhr vorbei. Gerade als ich meinem über alles geliebten Mann einen Kaffee einschenkte.«
    »Wer ist dieser Bastiani?«
    »Ein Gemüsehändler«, klärte mich Erwin Schmied auf. »Sein Hof liegt etwa zwei Kilometer die Straße runter, steht ganz allein da, findet man sofort. Der Bastiani produziert aber nur Bio.« Er verzog das Gesicht, worauf ihm seine Frau einen empörten Blick zuwarf, die Bemerkung aber hinunterschluckte, die ihr offensichtlich auf der Zunge lag. Sie sah mich an und zuckte schicksalsergeben mit den Schultern, bevor sie sich erhob und ihre Kaffeetasse zum Spülbecken trug.
    »Er hat einen Verkaufsstand in der neuen Markthalle. Die kennen Sie vielleicht. Im Viadukt.«
    Natürlich war mir die neu erstellte, etwa fünfhundert Meter lange Einkaufsmeile bekannt, die sich im Kreis 5 unter den Bögen der Eisenbahnbrücke befand. Die kahlen Räume mit den eindrücklichen Steinmauern waren vor nicht allzu langer Zeit zu schicken Geschäftsräumen mit großen Fensterfronten ausgebaut worden und dienten nun meist hochpreisigen Labels als Vorzeigelokale, in denen manchmal auch etwas gekauft wurde. Früher hatten dort Konzerte und Lesungen, Kunstausstellungen, Partys und Modenschauen stattgefunden. Die Besucher der Geschäfte waren nach einem ersten Augenschein meinerseits hauptsächlich männliche Singles mit Seitenscheitel, Hornbrille und einem Hang zum Dünkel, stolze Karrieremütter, bewaffnet mit Projektmappen und Kinderwagen, die an militärische Kampffahrzeuge erinnerten, sowie Architekten, die halblaut über den Ausbau der Halle herzogen und diskret auf all die Details deuteten, die sie selbst natürlich stilvoller umgesetzt hätten. Die übliche Szene, die von solchen Orten angezogen wurde wie die Motten vom Licht und sich vor allem unter ihresgleichen wohlfühlte.
    Den vordersten Teil des unterhöhlten Viadukts hatte man nach italienischem Vorbild zu Zürichs erster Markthalle umfunktioniert. Etliche Verkaufsstände mit Nahrungsmitteln – viele davon wegen ihrer Bioqualität oder der aufwendigen Gewinnung, andere auch ohne besonderen Anlass äußerst kostspielig – befanden sich im Eingangsbereich, darunter auch derjenige des Gemüsehändlers Bastiani, wie ich gerade erfahren hatte.
    Beinahe hätte ich die Abzweigung übersehen, die nur mit einem welligen, im kniehohen Schnee beinahe versinkenden Holzschild gekennzeichnet war. Gemüse und Früchte – Direktverkauf ab Hof, stand darauf. Ich bremste scharf ab und bog in den holprigen Feldweg ein, der erst kürzlich freigefräst worden sein musste, denn auf beiden Seiten des schmalen Sträßchens türmten sich Schneewehen und im festgedrückten Grund der Fahrbahn waren Kieselsteine und gelbliche Grasbüschel zu erkennen. Ich passierte zwei verwitterte Scheunen, die am Wegrand standen, das Holz geschwärzt, die Dächer wie mit einer dicken Schicht geschlagener Sahne verziert, bevor ich den Vorplatz des Hofes erreichte.
    Ich blieb im Wagen sitzen, während ich das Bauernhaus betrachtete, ein längliches, zweistöckiges Gebäude mit Giebeldach, das einen düsteren Eindruck auf mich machte. Wahrscheinlich, weil niemand zu sehen war und das Haus dadurch verlassen wirkte.
    Der vordere, weiß gestrichene Teil schien bewohnt, während die Fassade der hinteren Hälfte aus groben dunklen Holzplanken bestand und wahrscheinlich als Stall diente.
    Der Platz selbst war schneefrei und sah frisch gewischt aus, nach Sonntag irgendwie. Da lag nichts herum, kein Besen, keine leeren Gebinde, zwischen den groben Pflastersteinen wucherte nicht einmal Unkraut. Ein paar Meter vom Hauptgebäude entfernt, fielen mir lange, mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckte Plastiktunnel auf, die sich in Kolonnen auf dem Feld reihten. Auf diese Art zog man Wintersalate, so weit reichten selbst meine Kenntnisse der heimischen Landwirtschaft.
    Ich schlug den Kragen der Jacke hoch und stieg aus meinem Käfer. Trotz des sonnigen

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