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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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auf blanke Körperlichkeit. Konsterniert starrte ich auf die Fotos, die mir manche Interessenten ungefragt zugeschickt hatten. Hätte ich nach raffinierter Zweideutigkeit, professioneller Machart oder einer Spur von Zurückhaltung gesucht, ich wäre darauf nicht fündig geworden. Ich klickte das letzte der überbelichteten Geschlechtsteile weg und blickte wieder zum Hauseingang hinüber. Nichts regte sich.
    Ich lehnte mich zurück und wünschte mir einmal mehr, noch Raucher zu sein. Der Whisky, das frühe Aufstehen und die Herumfahrerei hatten mich müde gemacht. Mit dem Zeigefinger navigierte ich mich auf meinem Telefon durch das Internet und blieb schließlich bei den neusten Nachrichten hängen. Ich war derart in einen Artikel vertieft, dass ich den Mann im dunkelblauen Mantel erst bemerkte, als er sich auf dem Gehsteig umwandte, um das schmiedeeiserne Seitentor hinter sich zu schließen.
    Wie elektrisiert richtete ich mich auf. Der Typ wirkte älter, als seine Stimme am Telefon hatte vermuten lassen, ansonsten entsprach er aber ziemlich exakt dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte: eine gepflegte Erscheinung, stilvoll, wenn auch etwas bieder gekleidet, mit feinen Gesichtszügen. Ich schätzte ihn auf etwa sechzig. Die Glatze umschloss ein grauer, kurz geschnittener Haarkranz, die Augen waren klein mit nervös zuckenden Lidern. Seine Haltung war etwas steif und er beugte sich leicht nach vorn, wenn er ging.
    Ich stieß die Wagentür auf und sprang aus meinem Käfer. »Warten Sie!«
    Der Mann blieb stehen, erstaunt, wie mir schien, aber keineswegs ertappt. Während ich auf ihn zueilte, verlor seine Körperhaltung zusehends an Spannkraft, und als ich vor ihm stand, schien er leicht verärgert. Gleichzeitig erkannte ich aber auch den Anflug von Erleichterung dahinter.
    »Vijay Kumar. Ich hätte es wissen müssen.«
    Er war also tatsächlich mein anonymer Anrufer.
    »Ich bin nun mal Detektiv.«
    Der Mann seufzte.
    »Wir müssen reden.«
    »Das habe ich befürchtet.«
    Wir hatten uns einen Platz auf der Galerie gesucht, von wo aus man einen eindrücklichen Ausblick auf das Geschehen im unteren Stock des Cafés Felix hatte.
    Die Bistrotischchen aus hellem Marmor, die sich unter den schweren Leuchtern aneinanderreihten, waren dabei das einzig Schnörkellose in diesem Lokal, der Rettungsanker für das von den überbordenden Eindrücken ringsherum strapazierte Auge. Die antik wirkenden Statuen und Säulen verschwanden beinahe unter der üppigen Blumendekoration, an den Wänden hingen von opulenten Goldrahmen umfasste Barockspiegel und die gewundene Treppe bedeckte ein purpurroter Teppich.
    Die eigentliche Sensation war aber die ausladende Kuchenvitrine im Eingangsbereich, die unter ihrer genauso farbenprächtigen wie kalorienhaltigen Last zusammenzubrechen drohte. Standesgemäß wurde das Etablissement gern von älteren Damen frequentiert, die sich mit ihrer bonbonfarbenen oder goldglitzernden Senioren-Haute-Couture derart nahtlos in die Ausstattung einfügten, dass man oft nicht wusste, wo die Damen aufhörten und wo das Dekor begann. Manch eine von denen kam wohl erst am Saisonwechsel wieder zum Vorschein, wenn der Raum neu geschmückt wurde. Weder Altersdiabetes noch die Größe der Tortenstücke schreckten die Ladys davon ab, immer wieder Nachschub zu bestellen – im schnarrenden Tonfall verwelkter Großindustriellengattinnen, die ihr Leben lang Bedienstete herumkommandiert hatten.
    Da das Café direkt am Bellevue lag und damit nahe am Opernhaus, den Theatern und Kinos sowie der Flaniermeile durch die Altstadt, vermischte sich die geriatrische Stammkundschaft mit gut situierten Touristen sowie Kulturinteressierten.
    Während mein Auftraggeber – den ich der Einfachheit halber und mit seinem Einverständnis Oskar nannte, da er sich standhaft geweigert hatte, seinen Namen preiszugeben – Kaffee für sich und eine heiße Schokolade mit Rum für mich bestellte, beobachtete ich ihn unauffällig. Er wirkte fahrig in seinen Bewegungen, im kurzen Gespräch mit der Bedienung schielte er immer wieder nervös zu mir herüber und machte dabei den angespannten Eindruck eines Patienten, der beim Zahnarzt auf seine Wurzelbehandlung wartete.
    »Wie Ihnen liegt mir viel daran, dass der Mord – und dass es Mord ist, davon gehe ich aus – an Said aufgeklärt wird«, erklärte ich, sobald der Kellner außer Hörweite war und lächelte dazu vertrauenerweckend. »Dazu benötige ich jedoch alle Informationen, die sie mir liefern

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