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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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können. Bis zu den kleinsten Details, denn gerade die erweisen sich oft als wichtig.«
    Oskar schien mit sich zu hadern, er starrte so lange reglos auf die Tischplatte, bis ich nicht mehr ganz sicher war, ob ich ihm meine Forderungen schon mitgeteilt hatte oder nicht.
    Doch dann nickte er zwei Mal, flüchtig zuerst, um mir zu bedeuten, dass er einverstanden war, und ein weiteres Mal zur Seite, um sich beim Kellner für die Getränke zu bedanken. Rasch zückte er seine Brieftasche und beglich den ausstehenden Betrag. Dann ließ er Zucker in seinen Kaffee rieseln und rührte bedächtig um.
    Sein Atem ging schwer, als er zu sprechen begann: »Nun, ich fange wohl am besten am Anfang an. Ich musste zu einem Kongress in Marrakesch, das war vor ziemlich genau einem Jahr. Und wie so oft fühlt man sich in einer fremden Stadt einsam …« Er machte eine vielsagende Pause, doch ich tat, als sei ich schwer von Begriff und blickte ihn verständnislos an.
    » Ich fühlte mich einsam …«
    »Das hab ich schon geschnallt. Das sind wir doch alle mal.«
    Er stieß die Luft aus, als nähme er gleich eine äußerst knifflige Aufgabe in Angriff. »Ich habe mir deswegen … einen Zeitvertreib aufs Zimmer geholt.«
    »Zeitvertreib?«
    »Einen Strichjungen, Sie verstehen schon …«
    »Said?«
    »Ja, Said«, bestätigte Oskar leise und tauchte offenbar in Erinnerungen ab, so gedankenverloren wie er seine Kaffeetasse anguckte.
    »Und?«, drängte ich ihn. Für Sentimentalitäten fehlten mir gerade Zeit und Verständnis.
    Er riss seinen Blick von der Tasse los und als er aufsah, waren seine Augen feucht. Auch das noch. Ich nahm einen großen Schluck von meiner Schokolade.
    »Ich war fast eine Woche dort und Said besuchte mich jeden Tag.«
    »Sie haben ihn dafür bezahlt?«
    »Eine Stunde kostet dort nicht mehr als ein Kinoticket.«
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich fuhr nach Hause, doch ich konnte ihn nicht vergessen. Im März flog ich wieder nach Marokko, besorgte ihm einen Pass und ein Touristenvisum und nahm ihn mit in die Schweiz.«
    »Und er kam einfach so mit?«
    »Ja.« Er wich meinem Blick aus.
    »Sie verschwenden nicht nur meine Zeit, Oskar, Sie beleidigen auch meine Intelligenz.«
    Abwiegelnd druckste er herum.
    »Ich muss Ihre Geschichte haargenau kennen, anders komme ich mit dem Fall nicht weiter«, setzte ich streng hinzu.
    Er blickte mich unglücklich an. »Ich weiß nicht … Vielleicht war es doch falsch, Sie zu engagieren.«
    »Mit einem Mal ist Ihnen egal, wie Said umgekommen ist?«
    »Nicht egal«, wehrte er sich. »Nur … davon zu erzählen fällt mir schwer. Ich glaube nicht, dass ich das kann. Und will.« Er erhob sich und griff nach seinem Mantel, den er sorgfältig zusammengefaltet auf den Stuhl neben sich gelegt hatte.
    »Von solchen Dingen zu berichten, ist immer peinlich«, bemerkte ich ruhig. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich diskret bin, niemand wird davon erfahren. Schon gar nicht Ihre Frau oder Ihre Kinder.«
    Entsetzt riss Oskar die Augen auf. »Woher wissen Sie das?«, stieß er hervor.
    Ich verkniff mir ein Grinsen. »Ich wünschte, ich könnte jetzt wie die berühmten Romandetektive eine spektakuläre Herleitung aus dem Hut zaubern. Aber dazu ist die Lösung leider viel zu simpel.«
    »Die wäre?« Wie festgefroren stand er da und fixierte mich ängstlich. Ich war überzeugt davon, dass er aufgehört hatte zu atmen.
    »Wenn man Ihre Brieftasche aufklappt, finden sich auf der einen Seite die Kreditkarten, gegenüber stecken hinter einer Plastikabdeckung Fotos von Ihrer bezaubernden Frau und den beiden wohlgeratenen Kindern. Sie sind mir vorhin zufällig aufgefallen, als Sie die Getränke bezahlt haben.«
    Oskar stöhnte leise und setzte sich wieder. »Und jetzt? Sie werden doch nicht etwa meine Frau informieren?«
    Ich beruhigte ihn. »Alles, was ich will, sind ein paar Antworten. Ehrliche Antworten.«
    In der letzten halben Minute war mein Auftraggeber blass geworden, doch immerhin machte er jetzt einen kooperativen Eindruck. Ich hatte ihn in der Hand und beabsichtigte nicht, diese Chance zu verspielen.
    »Wie haben Sie es geschafft, dass Said mit Ihnen mitgekommen ist?«
    Oskar strich sich mit der Hand über die Stirn. »Ich habe ihm ein besseres Leben versprochen. Ihm gesagt, dass ich mich um ihn kümmern würde.«
    »Haben Sie das?«
    »Ich habe es versucht und ihn im roten Schloss untergebracht. In einer der Wohnungen, die mein Arbeitgeber als Unterkunft für ausländische Privatkunden oder

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