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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Minnie nur ein Haar krümmen, dann … dann …« Er lief rot an und ruderte ohnmächtig mit den Armen, in seiner Wut schien er mit einem Mal zu wachsen. Ich wunderte mich, was es mit der symbiotischen Beziehung zwischen gewissen schwulen Männern und kleinen Hunden wohl auf sich hatte. Ein Augenzwinkern der Natur vielleicht, dass die einen in der Gegenwart der anderen so gut gediehen.
    »Ich habe keineswegs die Absicht, Ihrem Hund etwas anzutun. Aber wenn Sie mir meine Fragen nicht beantworten, kann ich für nichts garantieren.«
    »Er hat mich bestohlen!«, begann Binggeli zu schimpfen. »Diese kleine Ratte hat nicht nur einen wertvollen Ring mitgehen lassen, den mir noch meine Mutter – Gott hab sie selig – vermacht hat. Er hat auch Geld aus meiner Sparbüchse entwendet!«
    »Sparbüchse?«
    Binggeli warf mir einen misstrauischen Blick zu, worauf ich den vor Kälte und Angst zitternden Hund hereinnahm und ihn behutsam auf den Boden setzte. Sofort stürzte sich der Alte auf das Tier, um es zu streicheln und zu liebkosen, während er mit hoher Stimme unablässig auf es einredete. Ich ließ ihn gewähren, doch als er den Hund abzuküssen begann, erinnerte ich ihn an unseren Deal.
    Ungehalten sah Binggeli auf, ließ aber von dem Hund ab, der sich benommen von den ganzen Zärtlichkeiten wieder unter das Sofa verzog. Der Alte marschierte in die Küche, die seitlich vom Wohnzimmer abging. Ich sah, wie er sich auf die Zehenspitzen stellte und eine Kaffeedose aus einem Schrank holte.
    »Hier!«, jammerte er und hielt mir mit anklagender Miene den leeren Behälter unter die Nase. »Da waren mehrere Hundert Franken drin!«
    »Haben Sie kein Konto?«
    Er zuckte abfällig mit den Mundwinkeln. »Schon, aber ich bewahre das Geld lieber an einem sicheren Ort auf. Den Banken ist heutzutage auch nicht mehr zu trauen.«
    »Den Strichern aber schon?«
    »Er hat hier gewohnt«, verteidigte sich Binggeli. »Aber wahrscheinlich war es ihm nicht fein genug.«
    Ich sah mich verstohlen um. Wahrscheinlich hatte Binggeli mit seiner Vermutung sogar recht. Das Schlimmste war nicht, dass die Wohnung mit überkandideltem Firlefanz vollgestopft war, der aus einem Billigdiscounter zu stammen schien. Es war der schlechte Geschmack, der sich bei der Auswahl der Einrichtung offenbarte. Ein Sofa mit geblümtem Synthetikbezug, die blau leuchtende Lavalampe auf dem Boden daneben, die Regale, die aussahen, als wären sie aus Plastik, waren nur die sofort ins Auge stechenden Beispiele. Unschwer war zu erkennen, dass Binggeli keine hohe Rente bezog, alles in seiner Bleibe sah schäbig und abgenutzt aus. Kein Vergleich zu der Unterkunft im roten Schloss, die ich zwar nur von den beiden Fotos her kannte, aber die einen ungleich stilvolleren Eindruck gemacht hatte.
    »Weshalb haben Sie Said hier wohnen lassen?«
    Verlegen drehte Binggeli am Deckel der Kaffeedose. »Er kam mir mit dem Preis entgegen. Für … Sie wissen schon.«
    Ich wusste.
    »Mich will ja keiner mehr«, klagte er und verfiel wieder in seinen Jammerton. »Wenn man nicht mehr fünfundzwanzig ist und keinen Waschbrettbauch vorzeigen kann, dann sehen die Männer durch einen hindurch. Diese … diese Jungen!«, ereiferte er sich. »Die nehmen mich gar nicht mehr wahr. Für die bin ich unsichtbar, als gäbe es mich überhaupt nicht.«
    Diese Litanei war mir wohlbekannt. »Aber es gibt ja auch noch andere, denen es ähnlich ergeht wie Ihnen. Jemand in Ihrem Alter vielleicht?«
    Binggeli verzog angewidert das Gesicht. »Was denken Sie denn? Ich will doch keinen Alten!«
    Ich blickte zum Fenster hinaus, das einen spektakulären Blick über Aussersihl bot. Mir fiel ein, dass Max Frisch hier gewohnt hatte, zuoberst, wenn ich mich nicht irrte.
    »Aber diese Boys«, fuhr der Alte fort, und seine Stimme nahm einen schwärmerischen Klang an, »die geben mir das Gefühl, noch jemand zu sein. Die haben mich gern.«
    »Klar, Sie bezahlen sie ja auch dafür.«
    Binggeli wedelte heftig mit der Hand. »Egal! Am Ende zählt das Glück, selbst wenn es nur wenige Stunden dauert.«
    »Sie machen sich was vor.«
    Er sah mich empört an. »Warten Sie ab, bis Sie mal so alt sind wie ich. Dann werden Sie schon sehen!«
    So weit in die Zukunft hatte ich noch nicht gedacht, aber vielleicht war da tatsächlich was dran. Wenn ich so weitermachte wie bisher, würde ich wohl auch allein und einsam in einer heruntergekommenen Zweizimmerwohnung enden. Bei genauerer Betrachtung war das längst der Fall.
    »Wann haben Sie Said

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