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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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intimen Kontakt zu einem Mordopfer erzählen oder soll ich das übernehmen?«
    Trotzig reckte Kurt Binggeli das Kinn. »Sie wollen mich bloß einschüchtern! Aber mir machen Sie keine Angst!«
    Verdutzt starrte ich ihn an. Der Alte war erstaunlich unerschrocken, mein Drohversuch war phänomenal in die Hose gegangen. Seit sie auf gutem Weg waren, den größten Bevölkerungsanteil zu stellen, strotzten diese Senioren geradezu vor Selbstbewusstsein.
    »Dann lassen Sie uns vernünftig reden.«
    »Wozu? Ich hab Ihnen bereits deutlich gesagt, dass ich nichts mehr von dem Flittchen hören will. Zudem darf ich Sie daran erinnern, dass Sie soeben gewaltsam in meine Wohnung eingedrungen sind. Würde mich schon interessieren, was die Polizei dazu sagen wird.« Binggeli streckte den Zeigefinger aus und drehte die Wählscheibe.
    Einen Wimpernschlag später stand ich neben ihm und versuchte, den Hörer mit sanfter Gewalt aus seiner Hand zu winden.
    »Das ist ja die Höhe!«, zeterte er und klammerte sich verbissen an den Telefonhörer, weswegen ich mich gezwungen sah, ihm ein klein wenig das Handgelenk zu verdrehen. Er wieherte schrill, bevor er mir seine dritten Zähne in den Unterarm schlug. Ich stieß einen Schmerzensschrei aus und riss den Arm zurück, unglücklicherweise blieb dabei die untere Zahnreihe seines Gebisses daran hängen.
    Angeekelt schleuderte ich die Prothese zu Boden und überzeugte mich davon, dass die Haut nur geritzt war und kein Blut floss. Während ich mich noch sorgte, wie lange wohl eine Tetanusimpfung wirksam war und ob ich mir aufgrund des Berufsrisikos gar Gedanken zur Tollwutprävention machen musste, rückte der wild gewordene Greis seine verbliebenen Beißerchen zurecht und bückte sich dann zitternd nach dem Rest.
    Blitzschnell kickte ich diesen in den nächsten, an die Diele anschließenden Raum. Wie auf Kommando schoss der Pekinese, der mich die ganze Zeit über wie von Sinnen angekläfft hatte, hinterher, schnappte sich die Gebisshälfte und verschwand damit. Unter das Sofa, wie ich feststellte, als ich dem Alten folgte, der dem Pekinesen händeringend ins Wohnzimmer nachgerannt war und sich nun ächzend auf die Knie niederließ, um unter das abgewetzt aussehende Möbelstück zu spähen.
    »Homm, Minnie, iih hab wasch Feines füh diih«, versuchte er flehend, den winzigen Hund hervorzulocken, während ich das Schauspiel amüsiert verfolgte. Das Tier blickte verwirrt von einem zum anderen und machte keine Anstalten, aus seinem Versteck hervorzukriechen. Wahrscheinlich verstand Minnie ohnehin kein Wort von dem, was ihr zur Hälfte zahnloses Herrchen vor sich hin lallte.
    »Minnie, homm zu Wahah!«
    Normalerweise zweifelte ich schon am Geisteszustand gewisser Hundehalter, wenn ich unfreiwillig zuhören musste, welchen Stuss die mit ihren Hunden redeten – aber dieses unverständliche Brabbeln war wirklich unzumutbar.
    »Hohverhaahihomal!«, stieß Kurt Binggeli wütend hervor, ein wüster Fluch vermutete ich, denn er sah aufgebracht aus. Er richtete sich auf, griff nach der Zeitung, die auf dem niedrigen Salontisch lag, faltete sie und scheuchte das Hündchen unter dem Sofa hervor. Keuchend angelte er sich dann den fehlenden Teil seines Gebisses, an dem jetzt graublaue Staubfuseln hafteten.
    »Und wenn Sie ihre Zahnreihen wieder lückenlos geschlossen haben, dann reden wir!«, gab ich den knallharten Detektiv, während ich den winselnden Hund, den ich beim Vorbeiwetzen kurzerhand abgefangen hatte, vor mir her zum Fenster trug.
    »Aha hie wehen hoch hiie …«, stimmte Kurt Binggeli in das Winseln ein.
    »Und ob.« Ich öffnete das Fenster und hielt den Hund am Halsband fest, während ich ihn über dem Abgrund baumeln ließ. Das Winseln wurde sowohl drinnen als auch draußen heftiger.
    Wohnsiedlung Lochergut. Das höchste der Hochhäuser war zwar zweiundsechzig Meter hoch, doch wir befanden uns nicht im obersten Stock. Auch so reichte die Höhe allemal, um meinen unfreiwilligen Gastgeber leichenblass werden zu lassen. Ohne den Blick von seiner geliebten Minnie abzuwenden, stopfte er sich hurtig das Gebiss in den Mund. Erst verzog er angewidert das Gesicht, in der nächsten Sekunde würgte er.
    Ich wartete ab, bis er sich wieder so weit im Griff hatte, dass er zusammenhängend sprechen konnte. Einzig die nassen Staubfäden, die jetzt an seinen Zähnen klebten, irritierten mich und ich vermied es hinzugucken.
    »Wieso nicht gleich so? Sie hätten sich viel Ärger ersparen können!«
    »Sie! Wenn Sie

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