Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
zum letzten Mal gesehen?«, nahm ich meine Befragung hastig wieder auf. Ich konnte mir Binggeli schlecht als Mörder vorstellen, aber wie Oskar zuvor gesagt hatte: Man wusste nie, wozu manche Leute in der Wut fähig waren.
    Binggeli tappte zu einem niedrigen Bücherregal aus weiß bemalten Blechröhren, in dem allerhand Kram verstaut war, nur keine Bücher.
    Er öffnete eine Schachtel, entnahm ihr feierlich ein schwarzes Notizbüchlein und trat dann schwer atmend neben mich. Eifrig blätterte er die Seiten um, die ausnahmslos mit Zahlen vollgekritzelt waren. Als er die letzte beschriebene Doppelseite aufschlug, erkannte ich, dass es Geldbeträge waren, die er fein säuberlich notiert hatte, daneben stand jeweils der Anlass. Mit dem Finger fuhr er über die Zahlenkolonne nach unten, bis er abrupt stoppte. Triumphierend hielt er mir die Kladde unter die Nase. »Hier!«
    »Was interessiert mich Ihre Stromrechnung?«
    Ungeduldig riss er das Büchlein wieder an sich und tippte dann auf einen Eintrag in der Zeile darunter. »Da, lesen Sie!«
    Said , entzifferte ich die spitze Schrift, daneben der Betrag und am Ende der Linie ein Datum, das vier Wochen zurücklag.
    Jetzt begriff ich: Kurt Binggeli führte akribisch genau Buch über seine Ausgaben. So kam es, dass Saids letzte Dienstleistung zwischen Rechnung Elektrizitätswerk und Einkauf Migros Platz fand.
    »Danach haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
    »Nein, sonst würde das ja da stehen.«
    Die Logik war einleuchtend.
    »Und bei diesem Besuch hat er den Schmuck und das Geld mitgehen lassen?«
    »Es war kein Besuch! Er hat hier gewohnt, bis er zu diesem anderen zurückgekehrt ist. Ich hab jeweils nur die Ausgaben notiert.« Er deutete plötzlich aufgeregt mit dem Zeigefinger auf mich. »Aber den sollten Sie befragen, diesen anderen, der sieht viel mehr wie ein Mörder aus als ich!«
    »Sie kennen ihn?«
    »Kennen nicht, aber ich wollte das Geld zurückfordern und den Ring. Ich habe Said vor der Stricherbar abgepasst und bin ihm dann bis zu diesem Schloss am See gefolgt. Aber als er wieder herauskam, war er in Begleitung dieses Mannes, und ich ließ es bleiben.«
    »Wie sah der Mann aus?«
    »Glatze, groß und hager. Elegant«, fügte er herablassend hinzu. »So ein ganz Feiner.«
    Das klang ganz nach meinem Auftraggeber. Die beiden Männer hatten sich also gegenseitig ausspioniert. Ich hoffte inständig, mit etwas mehr Würde zu altern.
    »Surfen Sie oft im Internet?«
    Binggeli breitete die Arme aus. »Sehen Sie vielleicht einen Computer?«
    Ich ließ meinen Blick durch die Wohnung schweifen. Ein Computer hätte irgendwie weder zur Einrichtung noch zu Binggeli gepasst, ganz abgesehen von der Tatsache, dass er nirgendwo Platz gehabt hätte.
    »Es gibt Internetcafés. Haben Sie ein Profil auf irgendeiner Datingseite?«
    Binggeli stieß verächtlich die Luft aus. »Das ist doch für die Jungen. Deswegen wissen die nicht mehr, wie man flirtet, wenn sie mal ausgehen, und sind komplett überfordert, wenn man ihnen zulächelt. Aber virtuell sind sie ganz gewieft und haben eine große Klappe. Ich hab es versucht, ich gebe es zu. Aber wenn man ehrlich ist mit seinem Alter …«, Binggelis Arme sanken kraftlos herunter, »… da klickt einen kein Schwein an. Ich hab’s wieder aufgegeben. Ich bin von der alten Schule, ich gehe raus, trinke ein Bier und dann gucke ich, was sich ergibt.«
    »Und wenn alles nichts nützt, zücken Sie die Brieftasche.«
    »Das ist legitim und zum Ziel komme ich so auch.«
    »Haben Sie Ihr Profil gelöscht?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Binggeli nach kurzem Überlegen. »Ich habe es aber seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt.«
    »Das werde ich überprüfen. Wie lautete Ihr Profilname?«
    »Wieso wollen Sie den wissen?«
    »Said hatte am letzten Abend, bevor er ermordet wurde, eine Verabredung, die im Netz vereinbart wurde.«
    »Und Sie glauben, ich sei das gewesen?«
    Ich sagte nichts und sah ihn unverwandt an.
    »Aber ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass ich das schon lange aufgegeben habe!«
    »Sagen Sie mir den Profilnamen!« Ich wandte mich drohend nach dem Hund um.
    »Ist ja gut, ist ja gut.« Er schluckte leer. »Geiler_Opa war mein Pseudonym.«
    Ich verkniff mir ein Grinsen. Und da wunderte er sich, dass ihn keiner anmachte. »Eine letzte Frage noch: Was für einen Wagen fahren Sie?«
    »Ich habe nicht einmal einen Führerschein.«
    Wer auch immer Said im Wald draußen abgeladen hatte, musste mit dem Auto hingefahren sein. Damit konnte

Weitere Kostenlose Bücher