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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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ich mich überrumpelt fühlte, noch wie unangenehm mir derart enger Körperkontakt zu wildfremden Menschen war. Vor allem wenn es sich dabei um einen Mann handelte. Keineswegs war ich prüde, es war nur, dass ich sein Ding spüren konnte. Links neben meinem Bauchnabel, ganz deutlich. Doch ein gewiefter Detektiv weiß aus jeder noch so widrigen Situation das Beste rauszuholen. Ich rückte so weit es seine Umarmung zuließ von dem Mann ab und sah mich unauffällig um.
    Der Raum erinnerte bestenfalls an ein Reisebüro in der Provinz: grauer Spannteppich, ein aus Spanplatten gefertigter Korpus. Der darauf stehende Computer mochte modern gewesen sein, als Britney Spears noch auf Jungfrau gemacht hatte. Eine gerahmte Fotografie zeigte ein glücklich lachendes Paar mit zwei kleinen Mädchen. Hinter dem Pult ein massiver Aktenschrank, an der Wand ein nüchternes Holzkreuz. In einer Halterung, die beim Eingang montiert war, steckten bündelweise Traktate und Broschüren.
    Das Plakat gleich daneben warb für ein Feriencamp auf einer abgelegenen Alp. Von Glück beseelte Männer waren darauf zu sehen, rotwangig, die Augen strahlend und hoff nungsvoll, einer hatte sogar eine Gitarre dabei. Gold glühend versank die Sonne hinter schneebedeckten Bergspitzen, der Himmel leuchtete in dramatischen Farben. Heimeliges Licht strahlte aus den Fenstern der Holzhütte, im Bach sprudelte silberklares Wasser. So kitschig das Bild auch war, nebst dem religiös-therapeutischen Beigeschmack hatte es auch etwas Archaisches, Ursprüngliches. Es lockte mit einer Reise zu jenem letzten Ort, wo Männer noch sein konnten, wie Gott sie erdacht hatte: gefährlich, frei und Gitarre spielend, sich einzig von Wurzeln, wilden Beeren und rohem Fleisch ernährend.
    Jetzt reichte es mir endgültig, dass sich mein Gastgeber immer noch an mich drückte, und mit leichter Gewalt löste ich mich von ihm. Etwas benommen, wie mir schien, trat er einen Schritt zurück und wies mit einer einladenden Geste zum Besuchersessel. Gerade noch rechtzeitig entwand ich mich seinem Arm, der sich bereits wieder krakenhaft um meine Schulter zu legen versuchte. Erleichtert atmete ich auf, als sich der Schmusetiger auf die andere Seite seines Schreibtisches begab.
    Der Typ hatte sich als Robert Irgendwas vorgestellt und noch ehe ich wegen seines Familiennamens nachfragen konnte, hatte er mir angeboten, ihn Bob zu nennen, das täten ohnehin alle.
    Bob hatte welliges, weizenblondes, auf der Seite prima gescheiteltes Haar, einen gebräunten Teint und zwei schier endlose Reihen ebenmäßiger Zähne, die so weiß waren, wie man sie in freier Natur nie antraf. Auch sein Verhalten wirkte sehr amerikanisch, er musste in der Mitarbeiterschulung gut aufgepasst haben. Denn so viel hatte ich über die sonst unverbindlich gehaltene Homepage rausgefunden: Die Organisation stammte aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der Hauptsitz der Schweizer Filiale war nicht ganz einfach zu finden gewesen, er lag im Souterrain eines schmucklosen Wohnhauses aus den Sechzigern. Einzig ein diskretes Schild neben der Klingel wies auf das Unternehmen Sanduhr hin.
    »Nun, mein Lieber, was führt dich hierher?«
    Bob faltete die Hände und setzte einen betont einfühlsamen Gesichtsausdruck auf. Auch das war sehr amerikanisch an ihm: Jede Geste, seine Mimik, die Sprache, alles war einen Tick zu sehr akzentuiert, überdeutlich, als wäre er ein Theaterschauspieler, der sichergehen wollte, dass auch die Zuschauer in den hintersten Rängen jede Nuance seines Spiels mitbekamen.
    »Ich habe ein paar Fragen …«
    »Dann bist du hier genau richtig!«, fiel mir Bob euphorisch ins Wort. »Wir alle haben Fragen. Auch ich. Dazu gibt es uns: Wir bieten dir Raum, deine inneren Fragen zu stellen. Denn ein erfülltes Leben heißt nicht, alle Fragen beantwortet zu haben. Nein, ein erfülltes Leben heißt, zu akzeptieren, dass man nie aufhören wird zu fragen. Und ich kann dir versichern: Gott hört dir zu! Er wird sich deiner annehmen …«
    »Ich weiß, was in eurem Programm steht, ich möchte aber wissen …«
    Bob hob die Hand und bremste mich schon wieder aus. »Ich kann verstehen, dass du ungeduldig bist, vielleicht sogar aggressiv. Doch das musst du nicht mehr sein. Hier verstehen wir dich. Wir alle waren einmal in deiner Situation und hatten Fragen. Brennende Fragen. Doch mit Gottes Hilfe haben wir zu den richtigen Antworten gefunden. Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken.« Er machte eine dramatische Pause.

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