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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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gutheißt. Wir hingegen bieten das nötige Verständnis und das Wissen unseres gut geschulten Personals, um eine Veränderung möglich zu machen.«
    »Hübsch umformuliert, Bob!« Sein salbungsvoller Ton ging mir zunehmend auf die Nerven. »Funktioniert das auch umgekehrt? Könnt ihr einen Hetero zum Schwulen zaubern?«
    Balthasar hatte einmal gesagt, dass der Unterschied zwischen einem Hetero und einem Schwulen ungefähr eine halbe Flasche Wodka betrage, ich allerdings glaubte nicht an diese reibungslosen Metamorphosen. Meiner Meinung nach war Schwulsein ein fester Bestandteil der Persönlichkeit.
    Bei Sanduhr hingegen wurde den Leuten eingeredet, Homosexualität sei nicht mehr als eine schlechte Angewohnheit, die man sich abgewöhnen konnte wie Rauchen oder Nägelkauen.
    »Der Wunsch wurde bislang noch nie geäußert«, bemerkte Bob zögernd, während seine Lider misstrauisch zuckten. »Ich habe gerade ganz stark das Gefühl, dass du mich nicht ernst nimmst.«
    Das war eine maßlose Untertreibung, doch ich hatte genug erfahren. Ich entkreuzte meine Beine und legte die Karten auf den Tisch: »Mir geht es um zwei Jungs, die sich hier angemeldet haben. Der eine, Kevin Steiner, muss ein paar eurer Kurse absolviert haben, sein Bekannter Nils Bühlmann wollte heute damit anfangen.«
    Bobs Lächeln gefror. »Wer bist du? Und was willst du hier?«
    Ich erklärte ihm den Grund für meinen Besuch und wie ich mein Geld verdiente, worauf sich Bobs eben noch strahlendes Angesicht schlagartig verfinsterte.
    »Raus!«, zischte er und wedelte affektiert mit der Hand Richtung Tür, doch ich war noch nicht fertig.
    »Die jungen Männer wollten sich unbedingt verändern. Sie kamen in ihrer Verzweiflung hierher und nun sind beide tot …«
    »Und natürlich gibst du mir die Schuld dafür! Wie alle anderen auch! Ihr macht es euch so einfach! Diese Gesellschaft, die sich gegen jede Veränderung sträubt und uns zum Sündenbock stempelt, wenn etwas schiefgeht! Alle sind gegen uns! Die Wissenschaftler, die Eltern von Betroffenen, sogar ehemalige Kunden!«
    »Mir kommen gleich die Tränen! Gibt Ihnen das nicht zu denken? Hinterfragen Sie denn Ihr Tun überhaupt nicht?« Aufgebracht lehnte ich mich vor. »Man kann sich doch nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, wenn man todunglückliche und labile Menschen mit solchem Schwachsinn traktiert!«
    Wütend sprang Bob auf und riss willkürlich einige Schubladen des Aktenschrankes heraus. »Und das hier? Was sagst du dazu?«
    Mit fahrigen Bewegungen deutete er auf den Inhalt der Schubladen: fein säuberlich aufgereihte Akten in Kartonschutzhüllen, alphabetisch geordnet, wie ich an den kleinen Schildern aus Plastik erkennen konnte, die zwischen den Mappen hochragten.
    »Alles Erfolge! Menschen, die das vermeintlich unabänderliche Schicksal, das ihnen die Umwelt aufdrängte, nicht akzeptieren wollten und sich mit Gottes Hilfe zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft gewandelt haben!«
    Schon wieder: vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. So klang Propaganda. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. »Was sie vorher nicht waren! Macht einen die Vorliebe für Titten und Mösen wirklich zu einem besseren Menschen?«
    Bob hielt wie vom Blitz getroffen inne. »Das ist vulgär!«, schrie er und seine gebräunte Gesichtsfarbe erhielt eine intensivere Tönung.
    »Viele von euren Kunden leben jetzt asexuell und verdrängen mit aller Macht ihre Neigungen«, entgegnete ich ruhig. Immerhin so viel hatte ich im Internet herausgefunden. »Die Folgen sind schwerwiegende psychische Störungen …«
    »Sieh mich an! Ich habe geheiratet und zwei wundervollen Töchtern das Leben geschenkt! Was soll daran gestört sein?« Triumphierend wies er zum Familienfoto auf seinem Schreibtisch. Ich warf einen Blick auf das Bild und stutzte. Etwas stimmte an der Aufnahme nicht. Erst kürzlich hatte ich ein ähnliches Bild gesehen. Mir fiel nur nicht mehr ein, wo.
    »Und wenn das Verwandeln nicht gelingt?« Bobs Überheblichkeit machte mich sauer. Wie konnte er sich bloß anmaßen, nach eigenem Gutdünken in der Psyche verunsicherter und hilfesuchender Menschen rumzupfuschen? Um reine Nächstenliebe handelte es sich wohl kaum.
    Es war mir immer wieder ein Rätsel, mit welchem Ingrimm sich nicht nur Bob und seine rührige Mannschaft, sondern auch etliche notorisch engstirnige Zirkel, die von Rapmusikern über religiöse Fundamentalisten bis hin zu republikanischen Präsidentschaftskandiaten reichten – wobei die beiden

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