Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
geht es da?«
    »Ich weiß es nicht genau. Kevin hat dauernd von Sanduhr gesprochen, so heißt dieser Verein. Muss irgendwo in Wiedikon sein. Er meinte, jetzt würde alles gut und seine Mutter würde ihm todsicher erlauben, nach Amerika zu fliegen. Er kam dann auch nicht mehr in den Treff und ich habe ihn nie wieder gesehen. Zwei Monate später erfuhr ich, dass er sich umgebracht hat.«
    Wie hypnotisiert starrte ich in die goldbraune Flüssigkeit, die immer wieder über die beiden Eiswürfel schwappte, als würde sich mir dort irgendeine Wahrheit offenbaren. Ein scharfes Zischen holte mich in die reale Welt zurück. Genauer gesagt: in den Laden meiner Mutter. Nicht, dass ich Manju hätte kontrollieren wollen, wie mir das meine Mutter vor ihrem Abflug nach Indien ans Herz gelegt hatte, doch als ich auf dem Heimweg am Lokal an der Langstrasse vorbeigekommen war, war mir aufgefallen, dass immer noch Licht brannte.
    Abwesend beobachtete ich den großzügigen Klacks Ghee , der in der heißen Pfanne zischend herumschlidderte, bevor er zusammenschmolz. Manju schüttete eine Handvoll Zwiebelsamen in die ausgelassene Butter, winzige, schwarze Körner, die wie Flöhe in der Pfanne hüpften, während sich sofort ein feinwürziger Geruch breitmachte.
    »Ich will das morgige Menü Probe kochen. Schließlich trage ich jetzt die Verantwortung«, hatte Manju kurz angebunden erklärt, als ich sie gefragt hatte, weshalb sie neuerdings auch sonntags arbeite. »Da soll alles perfekt sein.«
    Ich fragte mich, wie sich Manjus Ehrgeiz auf die Beziehung zwischen ihr und mir auf Dauer auswirken würde. Auch wenn ich noch immer das Gefühl hatte, zwischen uns existiere etwas, das bei behutsamer Pflege zu Größerem heranwachsen könnte – Manju schien diese Ansicht nicht zu teilen, jedenfalls sandte sie keinerlei Signale in der Richtung aus. Und ich kannte mich aus mit Signalen.
    »Was kochst du da?«
    Sie antwortete, ohne von der Pfanne aufzublicken: » Tel Baingan. «
    »Würzige Auberginen?«
    Jetzt lächelte sie doch, während sie gelbes Kurkumapulver zu den mittlerweile gerösteten Samen gab und das Ganze mit Chilipulver bestäubte. »Mein vegetarisches Menü für morgen. Wird zusammen mit Reis und Naan serviert, dazu gibt es ein Raita mit Tomaten und Gurken.«
    »Klingt lecker.« Mit einem Mal verspürte ich ein Zerren in meiner Magengegend.
    »Willst du nachher probieren?«, erkundigte sich Manju mit einem süffisanten Augenzwinkern und würzte die Mischung mit Salz und einer Prise Zucker, bevor sie alles mit ein paar Löffeln Joghurt ablöschte.
    Ertappt nickte ich. Ich hatte wohl etwas zu gebannt in die Pfanne geglotzt, doch der Geruch, der jetzt das Lokal erfüllte, war einfach zu betörend. Mir lief das Wasser unkontrolliert im Mund zusammen und ich fragte mich, wann ich zum letzten Mal richtig gegessen hatte. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden sicher nicht, da war ich so beschäftigt gewesen, dass ich kaum daran gedacht hatte. Doch nun meldete sich das Bedürfnis nach Nahrung mit ungebremster Wucht.
    Ich sah Manju zu, wie sie etwas Wasser hinzugab und den Pfanneninhalt aufkochte, bevor sie gebratene Auberginenscheiben, die sie offenbar schon vorbereitet hatte, zusammen mit klein gehackten, grünen Chilischoten unterhob und das Gericht auf der niedrigsten Stufe köcheln ließ. Derweil röstete sie in einer zweiten, kleineren Kasserolle Kreuzkümmelsamen, die sie über das Gemüse streute. Ohne erneut nachzufragen, griff sie sich einen Teller vom Stapel neben dem Tresen und schöpfte eine üppige Portion darauf, die sie mir zusammen mit einem Fladenbrot reichte. Wir sahen uns tief in die Augen, beide jeweils eine Hand am Teller, bevor sie so strahlend lächelte, dass mir das Blut in die Ohren und andere Körperteile schoss.
    Nachdem ich mich satt gegessen hatte, verdrängte ich das kurz aufwallende Bedürfnis nach einer Zigarette und schenkte mir einen weiteren Amrut ein.
    Draußen fiel Schnee, so dicht, dass die gegenüberliegende Häuserfront hinter den herabschwebenden Flocken beinahe verschwand. Kaum jemand traute sich bei diesem Wetter noch vor die Tür, die sonst so belebte Straße war menschenleer. Einzig die Lichter der Restaurants, Klubs und der wenigen verbliebenen Striplokale leuchteten und blinkten unbeirrt in den düsteren Abend.
    Während sich Manju an das nächste Gericht machte, Bhoona Ghosht , ein Lammcurry mit dick eingekochter Soße, sah ich plötzlich meinen Vater wieder vor mir, wie verwirrt und

Weitere Kostenlose Bücher